Bei seinem Amtsantritt forderte der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir höhere Lebensmittelpreise. Es dürfe keine Ramschpreise für Lebensmittel geben, die Bauernhöfe in den Ruin trieben, die mehr Tierwohl verhinderten, das Artensterben beförderten und das Klima belasteten. Die Preiserhöhung wird aber hart kritisiert: Sozialverbände und viele von Armut betroffene Menschen sagen, dass „faire Preise“ für gesunde Lebensmittel nur die bezahlen können, die es sich eben leisten können. Die Schlagzeilen, die diese Aussagen begleiteten, sind ein bezeichnendes Beispiel für die hartnäckigen Vorurteile, die gerade in westlichen Industrieländern an Ernährung und Sozialstatus haften. Aber muss gesunde Ernährung wirklich teuer sein?
Sozialer Status und gesunde Ernährung
Zahlreiche Studien zeigen, dass sich Menschen mit höherem Bildungsgrad aus wohlhabenderen Industrieländern durchschnittlich qualitativ besser ernähren – mit mehr Obst, Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten.
Im Gegensatz dazu berichten sozioökonomisch benachteiligte Menschen von einer nährstoffärmeren und energiereicheren Ernährung durch den Verzehr von mehr verarbeiteten Produkten wie Nudeln und Fleisch etwa mit hohen Anteilen an Haushaltszucker. Zudem entsprechen ihre Kaufgewohnheiten bei Lebensmitteln seltener den gängigen Ernährungsempfehlungen. Damit einher geht häufig ein höheres Risiko von Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als bei Menschen, die sozioökonimsch besser gestellt sind.
Der Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, der Ernährungsqualität und der Gesundheit ist also hinreichend dokumentiert. Doch die Forschung widmet sich seltener den wirklichen Ursachen des Phänomens. Würden aber diese angegangen, statt nur ihre Symptome, könnte das erhebliche Verbesserungen in der Gestaltung wirksamer Ernährungsmaßnahmen und der Vorbeugung chronischer Krankheiten haben.
Public-Health-Initiativen und ihre Vorurteile
Aber sind ungesunde Ernährungsgewohnheiten wirklich nur das Ergebnis schlechter Entscheidungen infolge begrenzten Wissens und mangelnder Fähigkeiten im Umgang mit Lebensmitteln? Ja, wenn man der Auffassung von Initiativen zur Förderung gesunder Ernährung folgt. Denn diese konzentrieren sich häufig auf Erziehung in der Annahme, dass sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen über genau dieses Wissen und diese Fähigkeiten nicht verfügen.
Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Menschen aus sozioökonomisch schwächeren Haushalten genauso häufig Rezepte anpassen wie bessergestellte Personen, um sie zu optimieren und so gesünder zu machen. Sie sind genauso gut in der Lage, Lebensmittel zuzubereiten und zu kochen, aber häufig durch ihre wirtschaftlichen, materiellen und sozialen Umstände eingeschränkt.
Muss hochwertige Ernährung teurer sein?
Lebensmittelpreise steuern maßgeblich das Kaufverhalten. So hindern hohe Preise einkommensschwächere Verbraucher*innen daran, Ernährungsempfehlungen zu befolgen, was aber nicht heißt, dass gesunde Ernährung zwangsläufig teuer oder kostspielig sein muss. Denn so essen auch viele sozioökonomisch benachteiligten Menschen gesund.
Das Internet ist voll von Rezepten für „gesunde Ernährung mit wenig Geld”. In der Tat gibt es für viele teure, gesunde Lebensmittel, wie zum Beispiel frischen Lachs, eine kostengünstigere Alternative – etwa Lachs aus der Dose. Aber sind höhere Kosten für gesunde Lebensmittel somit wirklich nur ein Mythos, einfach lösbar die genauso gesunden, aber preiswerteren Mahlzeiten?
Unterschiedliche Produkte, verschiedene Nährstoffe
Lebensmittel liefern neben Kalorien eine ganze Reihe von Nährstoffen, die der Mensch in verschiedenen Lebensphasen in unterschiedlichen Mengen benötigt. Gleichzeitig sollten einige Inhaltsstoffe wie Zucker, Natrium und gesättigte Fette nur in begrenzter Menge aufgenommen werden. Indizes wie der Nutrient Rich Food Index stufen Lebensmittel auf der Grundlage ihres zusammengesetzten Nährstoffprofils ein, unter Berücksichtigung sowohl guter als auch schlechter Nährstoffe.
Um den Nährstoffgehalt von Lebensmittel vergleichen zu können, braucht es eine standardisierte Vergleichseinheit – aber bis heute streiten Expert*innen darüber wie man Äpfel mit Birnen vergleichen soll. Berücksichtigt man dann auch noch die Lebensmittelpreise, wie soll dann das erst beste Preis-Leistungs-Verhältnis für gesunde Lebensmittel festgestellt werden?
Verarbeitete Lebensmittel und billige Kalorien
Vergleicht man etwa Lebensmittel auf der Grundlage ihrer Energiekosten (Geldbetrag pro Kalorie), stellen energiereiche Lebensmittel wie Getreide, Fette und verarbeitete Produkte die kostengünstigste aller Optionen dar. Diese billigen Kalorien sind zugleich oft die am wenigsten nahrhaften.
Während einzelne Studien zeigen, dass Verbraucher*innen Lebensmittel nicht auf der Grundlage der Energiekosten kaufen, zeigen andere wiederum, dass gerade Menschen mit niedrigerem Einkommen eher dazu neigen darauf achten.
Nicht genug Geld, Zeit oder beides
Obwohl es theoretisch nahrhafte, preiswerte Lebensmittel gibt, ist die Frage, wie zugänglich sie sind, insbesondere für die sozial schlechtergestellte Verbraucher*innen. Denn: Niedrige Lebensmittelbudgets erfordern einen hohen Zeit- und Planungsaufwand. Zum Beispiel können die „Zeitkosten” für die Zubereitung von Rohkost im Vergleich zu Fertigprodukten zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen über die relativen Preise von Lebensmitteln führen – trotz des höheren Preises von zubereiteten Lebensmitteln. Tatsächlich deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass der Zeitfaktor ein größeres Hemmnis darstellt als die Lebensmittelpreise selbst wenn es darum geht, nahrhafte Ernährungspläne zu verfolgen.
Der Zugang ist zudem auch weniger abhängig von den tatsächlichen Lebensmittelpreisen, als vielmehr vom Einkommen und der tatsächlichen Kaufkraft. Einkommensverbesserungen durch politische Instrumente wie ein Grundeinkommen in anderen Ländern erwiesen sich als wirksam, die Ernährungsunsicherheit in den ärmsten Haushalten zu verringern. Nach Ansicht mancher ermöglichen es zudem karikative Initiativen – wie Tafeln und Suppenküchen – der Regierung so ihren sozialen Verpflichtungen nicht nachkommen zu müssen.
Können sich also sozioökonomisch benachteiligte Menschen eine gesunde Ernährung leisten? Sind gesunde Lebensmittel wirklich teurer? Vielleicht stellen wir die falschen Fragen bei einem Blick auf die tatsächlichen Kosten von Lebensmitteln. Um es mit den Worten des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung zu sagen: „Die Frage des Hungers ist keine technische Frage, sondern eine politische Frage“.