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Gerechtfertigter Hype? – bonnFM bei berq in Köln

Lesezeit: 4 Minuten

Kaum ein Künstler hat in diesem Jahr die deutsche Musikszene so im Sturm erobert wie Berq. BonnFM war bei seinem Konzert in Köln dabei. Eine Einschätzung dazu, was hinter dem Erfolg des 20-jährigen Künstlers steckt, lest ihr hier.

“Irgendwie krass”, ist das Erste, was ich denke, als ich an der Live Music Hall ankomme. Eine lange Schlange zieht sich die Straße entlang, hunderte Fans stehen dicht gedrängt und warten auf den Einlass.

Manche warten schon lange, um einen der begehrten Plätze in den ersten Reihen zu ergattern. „Ich bin seit 14 Uhr hier“, erzählt mir ein Mädchen, das kaum älter als 16 wirkt, als wir in der Toilettenschlange ins Gespräch kommen. Sie lächelt fast stolz, als sie mir beichtet, dass sie sich noch nie so früh für ein Konzert angestellt hat. “Dann stehst du bestimmt weit vorne”, sage ich ihr mit einem breiten Lächeln. Doch ihre Miene verzieht sich. Die Ersten seien schon seit 8 Uhr morgens da gewesen, erzählt sie mir. Sie glaubt nicht, dass sie es bis in die vorderen Reihen schafft.

Das überrascht mich. Ich höre Berq seit dem Erscheinen seiner ersten EP ROTE FLAGGEN im Jahr 2023. Es kommt mir wie gestern vor, dass er noch Voract einiger meiner Lieblingsbands war. Damals schien er mir wie ein Geheimtipp – jemand, den man stolz in die eigene Playlist aufnahm, bevor ihn die breite Masse entdeckte. Dieser Moment ist endgültig vorbei, wird mir klar.

Von TikTok auf die Bühne

Berq, mit bürgerlichem Namen Felix Dautzenberg, ist gerade mal 20 Jahre alt. Sein Künstlername – das „g“ durch ein „q“ ersetzt – ist mittlerweile in der deutschen Musikszene kein Geheimtipp mehr. Erst am vergangenen Donnerstag wurde er mit der 1LIVE Krone als bester Newcomer ausgezeichnet.

Sein plötzlicher Aufstieg ist zweifellos eng mit TikTok verbunden. Im Sommer dieses Jahres ging sein Song Rote Flaggen viral. Clips, in denen der Sänger den Song performt, wurden tausendfach geliked, kommentiert und geteilt – und das, obwohl das Lied bereits 2023 erschienen war.

Man könnte es sich leicht machen und behaupten, Berqs Erfolg liege einfach an seinem Aussehen und ein bisschen Algorithmusglück – ein Vorurteil, das auch in den Kommentarspalten unter seinen Videos immer wieder auftaucht. Schließlich lässt der Künstler vor allem die Herzen vieler jüngerer Fans höher schlagen.

Kurz bevor das Konzert losgeht, sehe ich in der Halle vor allem viele weiblich gelesene Personen. Einige scheinen in meinem Alter, Anfang 20, andere deutlich jünger.

Doch das wäre zu kurz gedacht. Künstler*innen, die mit einem Song viral gehen, gibt es mittlerweile viele. Doch nur wenige schaffen es, so mühelos Konzerthallen zu füllen wie der 20-jährige Künstler.

Seine Musik, die Mischung aus Melancholie und eingängigen Pop-Melodien, bleibt hängen. Mir ist keine andere deutsche Künstler*in bekannt, die es schafft, emotionale Tiefe so mühelos mit einem modernen Sound zu verbinden und dabei sowohl Mainstream- als auch Indie-Publikum anzusprechen.

Dieser Erfolg spiegelt sich auch in seinen ausverkauften Konzerten wider: Obwohl LIVE 2024 Berqs erste eigene Tour ist, waren alle Tickets schon im Mai vergriffen– Monate vor der Veröffentlichung seines Albums berq am 25. Oktober 2024. Die daraufhin wenige Wochen später angekündigte Zusatztour für Anfang 2025 mit 17 weiteren Konzerten war ebenfalls nach wenigen Minuten ausverkauft – trotz deutlich größerer Venues.

Eine Stimme, die bleibt

Umso besonderer ist es für mich, Berq heute in der intimen Atmosphäre der Live Music Hall zu erleben, bevor er im Frühjahr im weit größeren Palladium in Köln spielt, das fast drei- bis viermal so viele Besucher*innen fasst.

Dabei erfindet Berq das Deutschpop-Genre nicht neu. Zwar ist es beachtlich, dass er seine Songs nicht nur singt, sondern auch komponiert und produziert, doch die Geschichten, die er in seinen Texten erzählt, sind meist nicht außergewöhnlich: Es geht viel um Herzschmerz, Sehnsucht und das Gefühl, mit schnellem Erfolg nicht klarzukommen.

Doch die Art und Weise, wie er diese Themen inszeniert, berührt. Das wird mir auch schnell klar, als Berq um kurz nach 20 Uhr die Bühne betritt. Irgendwie habe ich erwartet, dass die Menge schon vor dem ersten Ton wie wild zu kreischen beginnt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es ist fast ehrfürchtig still, als tief dröhnende Bassklänge die Halle durchziehen.

Die ganze Atmosphäre ist so intensiv, dass ich Gänsehaut bekomme. Das Spiel aus Licht und Musik lässt Berq – so übertrieben es klingen mag – fast wie einen jungen Gott wirken. Irgendwie unmenschlich, durch eine Stimme, die zu schön klingt, um wahr zu sein.

Kurz habe ich Angst, dass der schnelle Erfolg ihn abgehoben gemacht haben könnte. Doch dann nimmt er während des Konzerts ganz selbstverständlich Geschenke von Fans entgegen: Blumensträuße, selbstgemalte Bilder, kleine Briefe. In einem ruhigen Moment wirft ihm ein Mädchen ein selbstgemachtes Armband zu. Er hebt es lächelnd auf und legt es sich ohne Zögern ums Handgelenk. Irgendwie süß – und vor allem: echt.

Besonders schön wird es, als alle Fans während Berqs Song Vergissmeinnicht plötzlich blaue Papierherzen in die Luft halten – ein Fanprojekt, das Berq sichtlich rührt.

Trotz des prunkvollen Bühnenbilds und der beeindruckenden Lichtershow wirkt Berq den gesamten Abend lang nahbar, menschlich – wie jemand, den man gerne unterstützt, dessen Erfolg man ihm von Herzen gönnt.

Als das letzte Lied erklingt – natürlich Rote Flaggen, sein größter Hit – bittet Berq das Publikum mit einem schelmischen Lächeln, so laut mitzusingen, dass man ihn in den Fanvideos auf TikTok nicht mehr versteht. Ein ironischer Seitenhieb auf die Plattform, die seinen Durchbruch erst möglich gemacht hat.

Während die Menge aus vollem Hals den Refrain schreit, spüre ich, wie mein Herz ganz voll ist. Ich freue mich für ihn – für den Künstler, der es in nur einem Jahr von kleinen Voracts bis in die ausverkaufte Live Music Hall geschafft hat. Und ich freue mich für all die Menschen um mich herum, die mit glänzenden Augen und breitem Lächeln den Abend genauso mitgerissen erleben wie ich.