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Bild: Unsplash // Florencia Potte

Können wir die Welt zwischen Tür und Angel retten?

Lesezeit: 4 Minuten

Wenn wir in die Nachrichten schauen, bekommt man den Eindruck, wir würden in einer immer angespannteren Welt leben. Es gibt immer neue Probleme, vermeintliche Lösungen und besonders eine Sache: Meinungen. Doch was kann jede Einzelperson eigentlich tun, wenn es um die „großen Themen“ geht?

Es ist wieder einer dieser Abende in einer WG-Küche irgendwo in Bonn. Nach kurzem Smalltalk haben mein Mitbewohner und ich sich beim Abspülen des Geschirrs mal schnell daran gemacht, die Probleme dieser Welt zu lösen. Ein bisschen Globalisierung hier, demografischer Wandel da, Klimawandel und auch eine Prise Politiker*innen Bashing – das alles gefüttert mit Fakten, persönlicher Erfahrung und einer gehörigen Portion Halbwissen. Wir haben uns die rhetorischen Bälle zugeworfen, und ich präsentierte meine Meinung zu so ziemlich Allem.

Vielleicht kennt ihr das auch, man quatscht sich so fest und redet ohne Punkt und Komma über alles Mögliche. Irgendwie klammert man sich fest an seinen Meinungen, und hat klare Ansichten über Themen, und will die andere Person überzeugen. Das ist häufig einfach der Situation geschuldet.

Warum es schwer ist, über große Themen zu sprechen

Ich habe zu vielen Themen eine Meinung, und bringe meine Gedanken dazu ab und an „natürlich“ auch ein! – Obwohl meine Expertise dabei oft gegen Null geht. Die stärksten Meinungen habe ich aber ehrlicherweise zu Themen, die zu meinen aktuellen Lebensumständen passen: Studium, Anfang 20 sein, solche Sachen.

Auch über den Klimawandel haben wir in der WG-Küche gesprochen. Insbesondere in unserer Generation hat das Thema eine starke Relevanz, da wir am stärksten von den Folgen betroffen sind. Die Temperaturen steigen, die Klimakrise ist in vollem Gange. Mit Blick auf das Wetter schwingt bei Diskussionen häufig mit, dass es zwar schön wäre, wenn es auch schon im Frühjahr warm wird, aber dass es andererseits klimatechnisch auf eine Katastrophe hindeutet. Ehrlich wäre doch: Auch an einem ganz normalen Tag im Frühjahr mit durchschnittlicher Temperatur sollte man darüber sprechen, dass da gerade ein Klimawandel geschieht.

Aber genau das ist ja eines der Probleme von großen Themen. Wir sehen so eine Entwicklung nicht live. Warum also überhaupt über das zu warme Wetter reden? – Vielleicht, weil es uns direkt auffällt. Oder anders gesagt: Stellt euch vor, es ist Klimawandel, aber keiner geht hin, weil es im Sommer in Deutschland solide 20 Grad bleibt, bis sich das Blatt im Jahre 2100 plötzlich dreht – wobei es dann natürlich viel zu spät ist? Doch wir bekommen natürlich auch mit, was an anderen Orten passiert. Allerdings sind die Nachrichten, die wir konsumieren häufig zu viel, zu schnell und zu komplex. Alles unsicher, alles unklar?

Der Nachrichtenkonsum und unsere geteilte Realität

Neuere Studien zeigen, dass immer mehr Menschen Nachrichten mittlerweile sogar bewusst vermeiden. Doch irgendwo kriegt man Themen häufig trotzdem mit, sei es auf Instagram, in der Werbung oder durchs Hörensagen. In Anlehnung an einen Buchtitel der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim werfe ich da mal eine Frage in den Raum: Wo ist in diesem Chaos an Information und Meinung unsere „kleinste gemeinsame Wirklichkeit“?

Bei unserem Gespräch in der WG-Küche beschränken wir uns auf die Themen, zu denen wir beide etwas zu sagen haben, und lassen das Gespräch nach einer Zeit wieder auf eine persönliche Ebene zurückfallen. Wenn ich generell zurückschaue und ehrlich zu mir bin, dann habe ich auch insbesondere bei den Gesprächen etwas mitgenommen, wo es nicht um mein Leben ging. Sondern in den Gesprächen bei denen ich das Gefühl hatte, in den Erzählungen des anderen wirklich etwas Neues zu erfahren, das in meinen Echokammern so bisher keine Rolle gespielt hat.

Ambiguität und vermeintliche Sicherheiten

In der Psychologie gibt es den Begriff der „Ambiguitätstoleranz“. Das bedeutet so viel wie „das Ertragen von Mehrdeutigkeiten“. Unser Leben als Mensch ist von Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten geprägt. Klimawandel, Krieg, gesellschaftliche Umbrüche. Es gibt in unserer überkomplexen Welt zu viele Dinge, um sich bei allem „sicher“ sein zu können und eine klare Meinung zu haben. Während die Frage nach dem Ursprung des Klimawandels nach und nach immer besser geklärt ist, und auch Lösungen immer ersichtlicher werden, sind wir bei der Umsetzung von Lösungswegen mit sehr viel Unsicherheit konfrontiert. Welche Staaten ziehen mit? Auf welche Bündnisse ist Verlass, auf welche nicht?

Zurück zur Küche und dem Gespräch mit meinem Mitbewohner am Spülbecken. Als wir im Themenpotpourri noch voll dabei waren, habe ich natürlich begeistert mein Arte Doku Expertise über die Zukunft der Verbrennermotoren und die Mega Citys in China gedroppt. Meine Catch Phrase ist da manchmal: „Ich habe dazu mal was in ‘ner Doku gesehen“.  Möglich wäre in dem Kontext aber eben auch Folgendes gewesen: „Du ehrlicherweise keine Ahnung – der Klimawandel ist eines der absolut dringendsten und wichtigsten Probleme aktuell. Und es gibt bestimmt Lösungen, aber wie die genau aussehen können oder wie man das umsetzen kann, weiß ich im Moment gerade auch noch nicht so ganz.“

Unsexy, ich weiß. Aber -sofern aufrichtig-, vielleicht zielführender als mein Ansatz im Gespräch vor ein paar Wochen.

Wann sollte man Unklarheit aushalten?

Das geht nicht immer. Wir sind schließlich auch nur Menschen, die nach einem langen Tag ein bisschen Weltschmerz loswerden wollen. In anderen Momenten außerhalb der WG-Küche ist außerdem Zivilcourage gefragt – z.B., wenn es in extremistische Bereiche geht, die in keiner Weise mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar sind und etwas dagegengesetzt werden muss. Aber in bestimmten Momenten will ich das in Zukunft mal ausprobieren. Eine gesellschaftliche Unsicherheit, ein „weiß ich nicht“ bei manchen Themen bzw. Lösungsvorschlägen kann sinnvoll sein, wenn es eben auch noch keine erprobten Lösungen gibt. Sofern die Problematik eindeutig ist, müssen wir uns ja noch nicht im gleichen Atemzug über alle Lösungswege klar sein. Anders ausgedrückt: Es kann nicht jede*r Expert*in für alles und jeden sein, deswegen müssen wir zwangsläufig auf die Expertise Anderer Vertrauen. Und da, wo es noch keine Expertise gibt, sollten wir uns darin üben, nicht direkt „die eine“ Lösung zu suchen.

Die Welt kann nicht mit einer großen Portion Halbwissen zwischen Tür und Angel gerettet werden. Es braucht viele Expert*innen in vielen Bereichen. Trotzdem bleibt es wichtig, über aktuelle Themen zu sprechen. Nur eben mit einem etwas anderen Twist. Mit diesen Gedanken im Kopf kann man es dann für zukünftige Gespräche mit dem Slogan von Deutschland Funk Nova halten: „Es ist kompliziert, dazu guter Pop.“

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