Taylor Swift und die Windmühlen: In 30 Millionen Songs um die Welt

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Während die Zahlen von CD-Verkäufen seit Jahren rückläufig sind, die Künstler eigentlich nur noch vom Livegeschäft und T-Shirtverkäufen leben können und selbst die Eroberung von Chartplätzen leichter denn je ist, läutet der Technologieriese Apple die Revolutionierung von Musikstreaming und mobilen Musikinhalten an. Und verärgert damit nicht nur Taylor Swift.

Insgesamt 43 Millionen Lieder listet der Onlinemusikshop „iTunes“. Bei einer durchschnittlichen Länge von 3:30 Minuten hieße das im Klartext:
Ich könnte von diesem Moment an (Montag, 29. Juni 2015, 20:50 Uhr) bis zum 9. Februar 2044, 18:09 Uhr ohne Pause durchgehend und dauerhaft neue Musik hören.
Der erste Gedanken dabei ist offensichtlich: Oh Gott. Wer will denn das alles, alle Musik der Welt (!) hören?

Die Fähigkeit zu selektieren hilft uns gerade so noch dabei, zu unterscheiden, ob wir ein Buch kaufen möchten oder nicht, ob wir es zu Ende lesen oder nicht – und dabei, irgendwie zwischen dem Ersten, ZDF, RTL oder Pro7 zu wählen. Wäre mein Kühlschrank mit allen denkbaren Lebensmitteln gefüllt, ich würde vermutlich aus Angst, mich entscheiden zu müssen, verhungern.

Aber auch finanziell brächte mich dieses Experiment vermutlich in ein Dilemma: Würde ich jeden dieser Songs kaufen, kostete mich das im Durchschnitt 4257000,00€. 
Das ist so viel, wie 42 Millionen durchschnittliche Erwerbstätige in ihrem ganzen Leben verdienen.
Oder ziemlich genau sogar: Wenn jeder erwerbstätige Deutsche einen Euro spenden würde.

Und plötzlich ist jedes Lied der Welt hörbar

Glücklicherweise hat Apple-CEO Tim Cook auf der vergangenen Keynote uns allen zumindest diesen Stachel ziehen und ermöglichen können, auf diesen unbegrenzten Vorrat an (vermutlich größtenteils ungenießbarer) Musik zuzugreifen – denn mit Apple Music (oder wie es korrekt heißt:  MUSIC) startet an diesem Dienstag, das kalifornische Gegenprogramm zum schwedischen Platzhirschen Spotify.

Statt 43.000.000 Lieder werden hier zwar nur 30 Millionen Songs angeboten – aber man kann ja nicht alles haben.
Und auf all die Kritik an Spotify, dass die Künstler hinter der Musik nicht fair bezahlt werden, dass die Qualität im Gratisangebot nicht ausreiche und dass wir im Grunde damit der Überflussgesellschaft nur einen weiteren Patron schenken, müssen wir auch hier nicht verzichten.

Taylor Swift und die Windmühlen

Branchenliebling und Offshakerin Taylor Swift hat sich deswegen ein Herz gefasst und zum größten Kritikpunkt an Apple Music einen offenen Brief verfasst – denn im Vorfeld war bereits gerüchteweise in die Medienwelt getropft, dass innerhalb der dreimonatigen, kostenlosen Testphase keinerlei Gewinne an die Musiker ausgeschüttet würden.
Ihr (Todschlag-)Argument: Wir wollen keine kostenlosen iPhones, erwartet nicht, dass wir euch unsere Musik schenken.

Und Bingo: Apple hat sich überzeugen lassen und vom potentiellen Ausbeutungsmodell Abstand genommen. Satte 0,2 Dollarcent (also 0,0017€) pro abgespieltem Song bekommen rechteinhabende Künstler fortan. Die fetten Jahre, sie liegen also wieder vor uns.
Nun kann man herbeiverschwören was einem in den Sinn kommt, jedoch: Verantwortliche bei Samsung, Sony oder Spotify hätten sich aufgrund eines solchen Schreibens einer Popmusikerin wohl kaum das Gelächter verkneifen können. Marketing, das können sie bei Apple. Und das neue Taylor Swift-Album „1989“ gibt es exklusiv zum Streamen obendrauf.
Nach dieser Gratisphase bekommt der Rechteinhaber dann übrigens sogar sage und schreibe 71,5%. Wovon auch immer.

Auch das Radio wird verapplet.

Aber nicht nur, dass wir nun bergeweise virtuelle CDs in unsere Wohnzimmer gestreamt bekommen (Wann landet Streaming endlich im Duden? Und: Gibt es schon eine wissenschaftliche Studie darüber, dass wir trotz Verfügbarkeit von 30000000 Stücken immer nur dieselben fünf Alben hören?), Apple plant obendrein nicht weniger, als das Radio zu revolutionieren:

Mit „Beats 1“ geht um 18 Uhr MEZ ein Sender on air, der 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche voll moderiert und kuratiert (sprich: Hinter dem Plattenteller steht nicht DJ Algorithmus) durchsendet.
Als Gasthosts habe Apple im Vorfeld Namen wie Drake, Elton John, Dr Dre oder die Queens of the Stone Age verpflichten können. Und den Auftakt macht die neue Single von Pharrell Williams – man gibt sich also höchst bescheiden.

Im Monolog mit den Künstlern

Als letztes Schmankerl bietet Apple Music noch den Service „Connect“ an – eine Art soziales Netzwerk, das Musikern die Möglichkeit bietet Bilder, kurze Videoschnipsel oder Texte zu posten, um somit direkt die Fans und solchen, die es werden wollen / sollen, zu erreichen.
Klingt wie ein hehres Vorhaben, das sicherlich die Zukunft verändern könnte.
Wären da Facebook, Instagram und Twitter nicht.

Aber das sind ja ohnehin alles nur Brückentechnologien. Oder erinnert sich noch jemand an iTunes Ping? Na eben.
Und bis dahin Shaken wir einfach off.

Gavin Karlmeier

Internettyp.