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Quelle: Ralf Mohr

Träumen im GOP – Zwischen Büchern und Akrobatik

Lesezeit: 3 Minuten

Die Show „Bookshop“ entführt Besucher*innen des GOP in einen Buchladen. Also „Vorhang auf!“ für eine einzigartige Mischung aus Komik, Geschichten und Akrobatik.

Eine kleine, drahtige Frau macht einen Kopfstand auf dem Kopf eines Mannes im gestreiften Sweatshirt. Das Tanzpaar beginnt sich im Takt der Musik zu drehen. Kontrabass, Trommeln und Akkordeon werden lauter und der Menschenturm dreht sich immer schneller und schneller. Sie kreisen immer schneller, bis schließlich alles verschwimmt.

Weltpremiere in Bonn

So endete die Uraufführung der Show „Bookshop“ im GOP Varieté-Theater in Bonn am 14. Januar. Auf der Bühne waren 13 Künstler*innen zu sehen, die aus aller Welt angereist waren – so unter anderem aus Portugal, Kanada und der Ukraine. Die Erleichterung nach der Weltpremiere war groß, denn „Bookshop“ war für die Verantwortlichen ein kleines Wagnis. Schließlich unterscheidet sich die Bühnendarbietung unter der Regie von Sabine Rieck strukturell von anderen Shows des GOP.

Gestalterisches Wagnis

Anders als normalerweise beim GOP, gibt es bei „Bookshop“ keine*n Moderator*in, welche*r durch den Abend führt. Stattdessen sind die verschiedenen Nummern durch das Motiv des Buchladens verbunden. „Ein Ort, den wir alle kennen. Von Kindheit an.“, erklärt Werner Buss, künstlerischer Direktor der GOP Entertainment-Group. Dieser Buchladen, dargestellt durch eine große Bücherwand als Kulisse, gehört Frau Sonntag. Ihr Laden ist gut besucht: von Paketboten, Haustürvertretern und Kund*innen. Buss schwärmt: „Die Bühne ist wie ein großes Wohnzimmer. Man wird regelrecht eingezogen.“

Mischung aus zwei Ebenen

Bild: Ralf Mohr

Diese alltägliche Ebene des Buchladens vermischt sich im Laufe des Abends mit der Ebene der Geschichten. So jongliert Momo zwischen den Regalen, und Romeo und Julia zeigen eine atemberaubende Chinese Pole Akrobatik vor dem Verkaufstresen. Die Geschichte endet in einer vielfach preisgekrönten Darbietung von Frau Sonntag und Robinson Crusoe – im „echten Leben“ Amélie Demay und Michélé Chen.

Andere Highlights des Abends waren Helena Jans‘ luftiges Pas de deux mit einem Skelett, der akrobatische Clown Joel Bakers und die Hula Hoop Performance von Gwenadou Schroeckleloeck.

Veraltete Stereotype

Leider ist das Varieté-Theater an der einen oder anderen Stelle in veralteten Stereotypen stehen geblieben – zum Beispiel bei der Darstellung der in der Literaturwissenschaft stark kritisierten Szene. In dieser begegnet Robinson Crusoe einem Einheimischen und nennt diesen „Freitag“. Viele Literaturwissenschaftler*innen weisen auf die kolonialen Mythen und rassistischen Stereotype hin, die der „Freundschaft“ von Daniel Defoes Originallektüre zugrunde liegen. Das Bücherregal hat aber noch so viel mehr Geschichten zu bieten. Vielleicht hätte die Wahl ja stattdessen auf einen Roman von Sylvia Plath oder Jane Austen fallen können? Ein anderes Beispiel ist die Tatsache, dass die Frauen auf der Bühne nur halb so viel Stoff am Körper tragen wie die Männer. Gerade bei Gwenadou Schroeckleloecks Auftritt kann sich die Frage gestellt werden, ob es 2022 noch nötig ist, den Körper der Artistin durch angefeuertes Ausziehen bis auf einen weit ausgeschnittenen Badeanzug stark zu sexualisieren, während die Paketboten in kompletten Uniformen ihre ikarischen Spiele darbieten.

Und Corona?

Abgesehen von der feministischen und antirassistischen Perspektive ist das gestalterische Wagnis des GOP mit einer Show ohne Moderator*in jedenfalls gelungen und die einzigartige Mischung aus Komik, Geschichten und Akrobatik entführte die Zuschauer*innen aus ihrem Alltag. Mark Schüler, der Direktor des GOP, sieht die Show auch als ein Entkommen aus der Welt der Pandemie: „Wenn ihr da draußen die Lage vergessen wollt, dann kommt hier hin.“

Bild: Ralf Mohr

Zwischen dunkelroten Samtsofas, Sekt und Abendkleidern wirkt Corona tatsächlich sehr weit weg. Denn in dem dämmrigen Saal versammelten sich knapp hundert Leute unter der Auflage „2G+“, sogar ohne Maske. Dennoch schwebt das Virus über allem, da die 13 Darstellenden wegen etwaiger Verschiebungen ganze anderthalb Jahre auf die Premiere von „Bookshop“ warten mussten. Jetzt ist es endlich soweit und bis zum 6. März heißt es noch: „Lasst eurer Fantasie freien Lauf“.