„Für immer Sommer 90“ spielt im Sommer 2020 und ist eine nachdenkliche Reise durch das heutige wie das vergangene Deutschland. Eine Serie aus Coronazeiten über längst vergangene Zeiten.
Andy (Charly Hübner) ist wirklich kein Typ zum Gernhaben. Nicht nur, dass er keine Maske anhat, als er tanken will, ihm wird auch noch eine Vergewaltigung vorgeworfen. Und so einen Protagonisten soll man bei seiner Tour durch Ostdeutschland begleiten.
Im Sommer 1990 am Abend des Weltmeisterfinales soll Andy in seinem Heimatort in Mecklenburg-Vorpommern ein Mädchen vergewaltigt haben. Der Brief mit den Anschuldigungen ist anonym. Also überlegt der Frankfurter Investmentbanker, wer damals alles auf der Party war und klappert nach und nach seine alten Schulfreund*innen ab, um herauszufinden, wer den Brief geschrieben hat.
Nächster Halt: Salzgitter
Andy hat seit besagter Party niemanden mehr von seinen Freund*innen gesehen. Schnell geht es bei seiner Reise nicht mehr nur um den Brief, sondern auch um verletzte Gefühle, weil Andy sich aus dem Staub gemacht hat, ohne sich je zu melden. Während er in Frankfurt Karriere gemacht hat, hat es das Leben mit seinen Freund*innen in Ostdeutschland nicht ganz so gut gemeint.
Da gibt es zum Beispiel Katrin (Deborah Kaufmann), die eine gescheiterte Karriere als Stripperin in Los Angeles hinter sich hat und nun die Aussicht über Salzgitter mit der Weite von L.A. vergleicht. Oder der junggebliebene Sven (Roman Knižka), der nicht an Corona glaubt, dafür aber sein ganzes Haus über Apps vernetzt hat. Annett (Christina Große) hält Andy einen kapitalismuskritischen Vortrag und Marina (Stefanie Stappenbeck) bereut es, damals mit ihm geschlafen zu haben. Und am Ende trifft er auf Ronny (Peter Schneider), seinen besten Freund, der immer Handballspieler werden wollte und jetzt depressiv ist.
Die Mauer fällt
Es sind ganz schön viele Themen, die „Für immer Sommer 90“ anspricht: Vergewaltigungsvorwürfe, #metoo-Debatte, Ost/West-Konflikte, gescheiterte Lebensträume und nebenbei noch etwas Corona. Und das alles aus Sicht von Andy, der wie gesagt kein Typ zum Gernhaben ist. Allerdings wird auch nie versucht, Verständnis für seine Situation zu wecken. Als Zuschauer*in fühlt man sich eher mit den alten Schulfreund*innen verbunden, als mit Andy. Am Ende sind nämlich sie es, die uns und ihm die Augen öffnen und so Stück für Stück die wahre Geschichte ans Licht bringen.
„Die Mauer wird auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben“, hört man Erich Honecker im Vorspann verkünden. Die Mauer fiel und so bröckelt auch die Mauer, die Andy um sich herum aufgebaut hat, im Verlauf der Serie. Zumindest scheint es so, dass ihn immer mehr Selbstzweifel plagen, ob er wirklich so ein tolles Leben führt wie er immer dachte. Oder wird er am Ende doch einfach so weiter machen wie bisher? Ganz schlau wird man aus Andy bis zuletzt nicht.
Alles improvisiert
Das Besondere an der Serie: die Dialoge wurden improvisiert. Und tatsächlich gibt es keine gestellt wirkenden Szenen, sondern das oft unangenehme Schweigen wird ausgehalten.
Regie führten Jan Georg Schütte und Lars Jessen. Jessen führte bereits bei Serien wie „Mord mit Aussicht“ oder „Check Check“ Regie und in beiden Serien war bzw. ist Schütte als Schauspieler zu sehen. Und „Check Check“-Hauptdarsteller Klaas Heufer-Umlauf ist Produzent von „Für immer Sommer 90“.
„Für immer Sommer 90“ ist weder Komödie noch Drama, es ist schwer zu fassen und es braucht seine Zeit, sich auf die Geschichte einzulassen. Wenn man das jedoch schafft, wird man mitgenommen auf eine nachdenkliche Reise durch das heutige wie das vergangene Deutschland, auf eine Reise, die viele Fragen aufwirft und die Antworten den Zuschauer*innen überlässt. Gibt es etwas Passenderes für unsere Zeit?
„Für immer Sommer 90“Deutschland 2021
Regie: Jan Georg Schütte, Lars Jessen
Länge: 88 min als Film, 4 Folgen à 22 min als Serie
„Für immer Sommer 90“ läuft als Film am 6.01.2021 um 20:15 Uhr in der ARD, ist aber auch als 4-teilige Serie in der ARD-Mediathek zu sehen.