Die Dreigroschenoper ist keine neue Folge von den „Pfefferkörnern“, obwohl der Titelsong der Detektivserie auch zu Bertolt Brechts Theaterstück passen würde. Es geht um Macht, Korruption, Liebe und Verbrechen in einer aussichtslosen Welt des Kapitalismus. Aktuell wird das knapp 100 Jahre alte Stück am Theater Bonn unter der Leitung von Simon Solberg inszeniert. Doch was gewinnt, wenn man sich im Kapitalismus zwischen Geld und Liebe entscheiden muss?
„Und der Haifisch, der hat Zähne (und Schüler*innen keine Lust auf Musikanalyse)“
11. Klasse, 6. Stunde am Freitagnachmittag, Musikunterricht. „Die Moritat über den Räuber Macheath“ steht auf dem Stundenplan und ein Song, der drei mal so alt ist wie wir selbst, und den außer unserer Lehrerin niemand hören will, schallt aus den maroden Lautsprechern des Musikraums. Zugegeben, das sind nicht gerade gute Erinnerungen an die Dreigroschenoper, die viele noch aus der Schulzeit haben. Worüber wir damals, als wir nur die Intervalle der Songs bestimmen sollten, nicht nachgedacht haben: die Themen von Bertolt Brechts Stück sind heute aktueller denn je und gehören zu einer vielschichtigen Geschichte über Liebe, Verrat, Eifersucht und Korruption.
„Und Macheath, der hat ein Messer (und Feind*innen, die ihn tot sehen wollen)“
Wer Geld hat, hat Macht. Das ist die einzige und wichtigste Regel im Londoner Stadtteil Soho, einem Milieu aus Verbrecher*innen, Prostituierten und Betrüger*innen. Armut und Korruption verwischen die Grenzen zwischen Recht und Verbrechen, und Moral ist etwas, das sich viele Bewohner*innen nicht leisten können. Denn alle kämpfen um dasselbe: Geld, Macht und das nackte Überleben. In dieser Welt des Kapitalismus lebt der stadtbekannte Verbrecher Macheath, genannt Mackie Messer. Er mordet, raubt, fängt Affären an und … kommt mit allem davon. Denn sein bester Freund ist zufällig der oberste Sheriff von London. Doch dann begeht er einen Fehler: er verliebt sich. Und das ausgerechnet in Polly, die Tochter des Bettlerkönigs Jonathan Jeremias Peachum. Herr Peachum möchte aber nicht die Ehre seiner Tochter retten, sondern viel mehr sein Geschäftsmodell. Er braucht Kontrolle über seine Untergebenen – und Mackie wird zur Bedrohung. Zusammen mit seiner Frau Celia setzt er alles daran, den Rivalen aus dem Weg zu räumen und Mackie wird zum Gejagten: von der Polizei, von seinen früheren Verbündeten – und von den Frauen, die mit
ihm noch eine Rechnung offen haben.
Das Stück spielt in dem heruntergekommenem Stadtviertel Soho, in dem nicht nur ein starker Konkurrenzkampf herrscht, sondern auch Gemeinsinn, Empathie und Vertrauen in die Mitmenschen verloren gegangen ist. Alle versuchen ihren persönlichen und finanziellen Nutzen aus sozialen Kontakten zu ziehen, alle Beziehungen werden warenförmig und alles hat nur solange einen Wert, wie man einen Nutzen daraus ziehen kann. Diese Strukturen sind auch in der Gegenwart noch spürbar, sagt der mitwirkende Dramaturg Jan Pfannenstiel: „Die Welt hat sich seitdem nicht zum Guten gewendet, sondern ist im neoliberalen Denken noch viel weiter fortgeschritten. Eine Welt ohne Kapitalismus ist heute kaum noch vorstellbar.“
„An ’nem schönen, blauen Sonntag (geht man ins Bonner Theater)“
Die Bonner Inszenierung zeigt genau das: heutzutage befinden wir uns gar nicht so weit entfernt von Brechts dystopischer Vorstellung. Trotzdem versucht Simon Solberg, der Hausregisseur am Theater Bonn, moderne Akzente zu setzen und das Gute in den Charakter*innen hervorzuheben. Dramaturg Jan Pfannenstiel beschreibt seinen Stil als „eine Mischung aus spielerischen kleinen Gags und einer sehr großen und düsteren Ästhetik“.
Soho wird auf der Bonner Bühne zu einer dystopischen Großstadtlandschaft, die selbst „Teil eines Science-Fiction-Films wie Blade Runner sein könnte“. Zwischen Hochhäusern und engen Gassen prallen die Figuren unaufhörlich aufeinander. Die Bonner Produktion nimmt die Konflikte des Stücks ernst und erzählt eine Welt, mit der sich das Publikum identifizieren kann. Hier geht es nicht nur um ein historisches Theaterstück – es geht um uns, unsere Gegenwart und die Frage, was Liebe und Gefühle in einer Welt wert sind, die von Geld regiert wird. Eine Antwort auf diese Frage und die ganze Geschichte über Mackie Messer seht ihr ab dem 06.04 im Theater Bonn.