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Bild: Markus J. Bachmann

„Was fehlt uns zum Glück?“ auf der Werkstattbühne: Die Inszenierung eines Fragebogens

Lesezeit: 4 Minuten

Freundschaft, Ehe, Eigentum und Tod sind Themen, die Max Frisch in seinen Fragebögen thematisiert. Diese bringt Katrin Plötner in einer 90-minütigen Anregung zum Nachdenken in humorvoller Note auf die Bühne. Die Inszenierung unterhält.

Senkrechte, blaue Linien fügen sich mit anderen, waagerechten, zusammen. Sie bilden zusammen Karos und formen Hilfslinien. Diejenigen, die auf einem Zettel schon vorgedruckt sind, die nützlich sind, um beim Schreiben gerade zu bleiben, damit die Buchstaben sich nicht in einem Bogen immer weiter nach unten neigen. Doch noch ist das karierte Blatt unbeschrieben. Forsch und etwas ungeduldig scheint es auf Ideen zu warten, die auf seine Seiten gekritzelt werden.

Ein Anreiz zum Annehmen und verstreichen lassen

„Was fehlt uns zum Glück?“ heißt die Inszenierung, die unter der Regie von Katrin Plötner, an diesem Sonntagabend im Programm der Werkstattbühne steht. Sie beruht auf den Fragebögen von Max Frisch. Das Bühnenbild stellt ein zu Beginn der Vorstellung noch unbeschriebenes, kariertes Blatt eines Collegeblocks dar. Symbolisch können darauf im Laufe der Inszenierung die Antworten geschrieben werden. Und auch die Schauspieler*innen sind erst ein Teil des Stück Papiers. In weißen Kostümen mit blauen Linien verschwimmen sie mit ihrem Hintergrund, zusammen bilden sie die Möglichkeit der noch ungestellten Fragen. Und dann beginnt die Vorstellung. 90 Minuten dauert sie an. Und diese sind gefüllt mit nichts als Fragestellungen. 

Direkte Fragen sind es, die das Ensemble stellt. Und es sind viele. Es reiht sich eine Frage an die nächste, bevor sie von der übernächsten abgelöst wird. Es geht um Hoffnung („Kann Hass eine Hoffnung erzeugen?“), handelt von Besitz („Empfindest du einen Hund als Eigentum?“) von der Gesellschaft („Braucht die Polizei Moral oder umgekehrt?“). Bevor dem Publikum die Zeit bleibt, über einen der Sätze nachzudenken und sich eine Meinung zu formen, werden mögliche Ideen direkt abgelöst von einem neuen Anreiz, einer weiteren Frage. Und dabei sind es eben nur die Zuschauer*innen selbst, die sich Antworten auf die Fragen geben könnten. Die Schauspieler*innen geben keine.

Gespräche voller Fragen

Doch es ist nicht so, dass die ausstehenden Antworten frustrieren. Vielmehr überlagert Humor die Tiefgründigkeit der gestellten Fragen. Was erst einmal absurd scheint, eine Inszenierung nur auf Fragen aufzubauen, funktioniert. Das liegt daran, dass die Schauspieler*innen die Fragen nicht zusammenhangslos in den Raum werfen, sondern Gespräche daraus entwickeln. Sie stellen sich die Fragen gegenseitig oder auch dem Publikum. Die „Unterhaltungen“ sind vielseitig. Mal ist es ein intimes Gespräch unter Freundinnen, mal ein anschuldigendes in der Gruppe, mal ein Forsches unter Eheleuten. Und indem die Handlung voranschreitet, scheint es, als würde sich das Blatt Papier – also das Bühnenbild – langsam füllen. So deutet sich das Finale an, indem die Schauspieler*innen Blechdosen gefüllt mit Farbe hervorholen. Damit schmieren sie sich dann selbst ein, bespritzen ihren Hintergrund, hinterlassen Abdrücke in Pink, Blau und Gelb. Die daraus entstehende bunte Kulisse steht im starken Kontrast mit dem zu Beginn beinahe noch sterilem, unbeschriebenen Weiß der Karofelder. Am Ende ist das Blatt nicht mehr unbeschrieben, die Fragen sind gestellt.

Patzer des Ensembles

Das Ensemble ist divers, was das Alter angeht. Wilhelm Eilers, Christoph Gummert, Anna Paula Muth, Alois Reinhardt und Lydia Stäubli schaffen es souverän, verschiedenste Stimmungen zu vermitteln. Dabei halten sie die Balance in ihren Rollen, die irgendwie einen Menschen mit Persönlichkeit darstellen, zur gleichen Zeit aber eine gerade eben nicht-menschliche Idee verkörpern. So befragen sich die Frauen des Ensembles gegenseitig über die Männer („Tun dir Männer leid?“), nachdem sich diese ihrerseits über die Frauen unterhalten haben. Hier verkörpern sie die binären Geschlechter, an anderen Stellen verhalten sie sich wie naive Kinder, die in den Kulissen spielen. Sie sind wütend, nachdenklich, machen sich über andere lustig. Und vor allem sind sie witzig.

Dennoch gibt es zwischen den geschickt auswendig gelernten Sätzen der Schauspieler*innen kleinere Patzer und Textaussetzer. So muss Reinhard lachen, als Gummert in einer Szene als trotziger Weihnachtsbaum vor ihm steht. Er braucht etwas Zeit, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Auch reden sie versehentlich ineinander hinein. Davon abgesehen, wird die Bühnenfassung souverän umgesetzt. Das findet auch das Publikum. Der Applaus ist laut und hält lange an.

Aktuelle Intensität vergangener Gegenwarten

Es sind elf Fragebögen, die Max Frisch vor über 50 Jahren zusammengestellt hat. Dass diese seitdem kaum etwas an Aktualität verloren haben, beweist Katrin Plötner in dieser Bühnenfassung. Dabei hält sie sich sehr nahe an dem Original, es ist ein beinahe genaues Vortragen der Lektüre. Leicht ist diese allerdings modernisiert. So wird das Publikum zu Beginn der Inszenierung nicht gesiezt, wie Max Frisch das durchgängig beibehält. Durch das weniger formelle und teils etwas direktere Du überqueren die Schauspielenden die Grenze zum Publikum. Abgegrenzt in der Inszenierung werden die einzelnen Fragebögen in ihren Szenen durch die immer wiederkehrende Leitfrage „Was fehlt uns zum Glück?“

Zudem gibt es vereinzelte Stellen, an denen die Schauspier*innen auf beinahe absurde Weise aus dem Fragenkatalog ausbrechen. So singen sie eine Chormelodie zusammen oder als Weihnachtsbaum verkleidet „Happy Birthday to me“. Eine Mitmachanimation entsteht, das Ensemble fordert das Publikum dazu auf, mitzuträllern. Und auch das funktioniert. Obwohl es auf den ersten Blick irritiert, kurzzeitig aus dem Schwall voller Fragen zu entfliehen, ist die Inszenierung mit diesen Akzenten schlüssig. Fast wie bunte Kritzeleien am Rande eines beschriebenen Blattes voller Karos.

Wer Antworten auf die Erkundigungen von Frisch wartet, sucht in der Bühnenfassung vergeblich. Vielmehr beeindruckt die Masse an vor Intensität sprühenden Fragen, weniger ist es die Beschäftigung mit einer einzelnen, die die Qualität der Bühnenfassung ausmacht. Und so bleibt es kein nachdenkliches Gefühl, welches die Inszenierung hinterlässt. Es ist der Humor und die Unterhaltung, die den Mehrwert dieses Theaterbesuchs ausmachen.