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Bild: Matthias Jung

Wie ein Selbstbedienungskörper

Lesezeit: 3 Minuten

Weiblich gelesene Körper werden im patriarchalen Konstrukt abgewertet, misshandelt, sexualisiert. Ein künstlerisches Abbild dieser Realität bringt das Theater Bonn in einer Inszenierung von Sarah Kunze auf die Bühne der Werkstatt. Eine Empfehlung.

Mitten im Raum steht eine pinke Tür. Sie ist mit einem silbernen Rahmen verziert und wirkt irgendwie fehl am Platz. Dann beginnt sphärische Musik. Sie zieht das Publikum in ihren Bann und hinein in das Stück. Es ist ein gnadenloses Bild unserer Realität, welches Regisseurin Sarah Kunze mit ihrer Inszenierung auf die Bühne bringt.

Schweigen und Gesehen werden

„Die Hand ist ein einsamer Jäger“ von Katja Brunner, erzählt die Geschichten von Frauen, von weiblich gelesenen Personen. Es geht vor allem um sexuellen Missbrauch, es geht um Normschönheit, kurz, es geht um das Leben in unser misogynen (=frauenfeindlichen) Gesellschaft. So tanzt ein 17-jähriges Mädchen in einem Club, als sich plötzlich eine fremde Hand in ihrem Slip wiederfindet. Ohne Einverständnis, ohne willkommen zu sein. Die Hand ragt aus einem Vorhang hervor, gesichts- und körperlos. Innerlich schreit alles in ihr auf, während sie es mit sich geschehen lässt und die Hand dort, zwischen ihren Beinen, nicht wegschiebt. So hat sie es gelernt: schweigen, nur auf die anderen achten.

Dieses Bild der stumm gemachten Frau zieht sich durch das gesamte Stück, genau wie die Hand, die an anderen Stellen erneut auftaucht. Irgendwann wird deutlich, dass sie ja jemandem gehören muss, einem Mann, der die Verantwortung für seine Taten trägt. Doch so schnell das Bild aufkommt, ist es auch schon wieder verschwunden und eine andere Situation überlagert die Szene. Die Schauspieler*innen gehen daraufhin auf die problematische und vor allem im Internet kursierenden Annahme ein, dass Attraktivität mit Schlankheit zusammenhängt. Diesem Bild bedienen sich gezwungenermaßen weiblich gelesene Personen.

Katja Brunner lässt aus dieser Normschönheit das „Hungermädchen“ entstehen. Starke Bilder porträtieren ihre Bulimie. Sie erbricht sich, liebkost einen in einer großen Schale liegenden, sich ziehenden Schleim. Ihr Kotzen entwickelt sich zum Sinnbild und taucht mehrfach im Verlauf des Stückes auf. Zuletzt verbinden sich ihr Erbrechen und die Ablehnung auf die männlich dominierte Gesellschaft. Die Szenen rufen ein Gefühl aus Ekel und Unwohlsein hervor.  

Grelles Licht unterstreicht beißende Stille

Das Ensemble der 100-minütigen Inszenierung, besteht aus drei Personen. Lena Geyer, Imke Siebert und Paul Michael Stiehler sind in neonfarbene, aber schlichte Ganzkörperanzüge gekleidet. Sie verkörpern abwechselnd verschiedene Personen in verschiedenen Situationen.

Paul Michael Stiehler nimmt häufig die Rolle des übergriffigen Mannes ein, aber nicht immer. Imke Siebert und Lena Geyer verkörpern weiblich gelesene Personen. Mal leiden sie nur darunter, mal tragen sie zum Patriarchat bei. Dabei denken sie laut, schreien ihre Wut heraus, belügen sich auch mal selbst. Sie sprechen anspruchsvolle Dialoge und Monologe, nutzen aber vor allem auch die beißende Stille. Dadurch machen sie es den Zuschauer*innen, trotz fordernder Texte, einfach, das jeweilige Gefühl der Szene aufzunehmen. Der Sprechchor der Schauspieler*innen fällt durch seine Perfektion auf.

Schlicht gehalten ist dagegen die Lichttechnik. Einzelne Farben bestimmen die Stimmung des Bühnenbildes und unterstreichen das Geschehen. So tun die gezeigten Szenen weh, das Licht blendet und schrille Töne aus dem Off lassen zusammenzucken. In Szenen voller Intimität und Grenzüberschreitungen drehen die Schauspieler*innen in Echtzeit Videoaufnahmen von sich und stellen eine besondere, beinahe unangenehme Nähe zu den Zuschauer*innen her.

Ein fehlender Höhepunkt schafft Realitätsnähe

Es gibt Anspielungen auf Catcalling, auf (Fehl-)Geburten, alleinerziehende Mütter. Die Inszenierung versucht, alle Facetten des Patriarchats abzubilden, es gibt einen ständigen Wechsel der Dargestellten und Adressierten. Gesellschaftliche Problematiken werden dabei allerdings eher aufgezählt und aneinandergereiht. Dadurch entwickelt sich weniger ein einzelner, aufbauender Handlungsstrang und trägt zu Längen im Stück bei.

Das Finale hätte auch an einer anderen scheinbar beliebigen Stelle eingeleitet werden können. Ab einem Moment gegen Ende, wird ein deutlicher Höhepunkt eher vermeintlich gesucht. Es herrscht ein Mangel an Entwicklung der Handlung, allerdings dienen die einzelnen Situationen einer Gesamtheit. Es sind ungeschönte Realitätsszenarien. Diese haben keinen Höhepunkt und keinen reellen Lichtblick, weder als einzelne, noch als Bündnis. Insofern hat die Inszenierung mit dieser schlichten Auflistung an Situationen genau das erreicht was sie will: sie bietet ein Abbild unserer frauenfeindlichen Gesellschaft dar.

Das Stück gründet auf starken Bildern und Dialogen. Bei dem Anspruch, alle Facetten des Patriarchats abdecken zu wollen, überschätzt es sich allerdings selbst und verliert dadurch vereinzelt Zuschauer*innen, die bis dahin wenig mit Misogynie vertraut sind. Dennoch ist es in seiner Gesamtheit eine hervorragende Inszenierung, die nicht nur Feminist*innen ans Herz zu legen ist.