Wir verlassen die Schule mit unserem Abschluss in der Tasche und freuen uns auf all das, was noch kommt. Aber genau das ist die Frage: ,,Was kommt denn jetzt?” Alle Tanten und Onkel können es kaum abwarten, herauszufinden, was dein nächster Schritt ist. ,,Was willst du denn jetzt mal werden?” Tja, ich wüsste auch wirklich gerne, wer ich einmal sein werde.
,,Ein Lebenslauf darf keine Lücken oder zu große Umwege haben.” Davon bin ich immer ausgegangen, weil man ansonsten nicht professionell genug ist oder vielleicht auch gar nicht entscheidungsfähig wirkt. Ganz schön viel Druck für eine 16-jährige, sich direkt zu entscheiden, was sie für die restlichen 50 Jahre machen will. Um zu erklären, was sich in meiner Einstellung geändert hat, muss ich auf meinen eigenen Lebenslauf zurückgreifen.
,,Nach der Schule geht’s erst richtig los!”
,,Jetzt geht das Leben erst richtig los!”, wird dir noch auf deiner Abschlussfeier von jeder Seite ins Ohr gelegt. Zwischen Bewerbungen, Urkunden und einer ganzen Menge Zweifel steht man nun da und hat eigentlich gar keinen Plan, was denn jetzt genau richtig losgeht. Beginne ich eine Ausbildung oder mache ich doch noch Abitur? Auf gar keinen Fall weiter lernen, studieren werde ich sowieso auf keinen Fall.
Mir wurde immer nahe gelegt, das zu tun, was ich gut kann. Da fingen zum ersten mal die Überlegungen an. Das einzige, was ich zu dem Zeitpunkt an Berufserfahrung hatte, war ein 14-tägiges Praktikum. Das reicht leider nicht aus, um mich komplett auf diese einzelne Erfahrung zu verlassen. Ich konnte mir noch gar nicht vorstellen, was ich überhaupt gut kann. Woher weiß man das denn? ,,Mach einfach das, was dir Spaß macht!” hieß es immer wieder, um meine Zweifel und Ängste zu bewältigen. Das erschien mir auch plausibel, aber ich war mir trotz meinem jugendlichen Leichtsinn dann doch auch schnell im Klaren, dass die Karriere als professionelle Schlagzeugerin, als Autorin oder als Filmproduzentin dann doch noch zu vage war, um sich auf all das zu verlassen.
In einem konservativen Eifeldorf wird einem sowieso recht schnell nahe gelegt, dass die Arbeitswelt das einzig Wahre sei und man sich direkt einen Ausbildungsplatz sichern sollte. Dann mache ich das auch. Aber auch da stehe ich vor einer Entscheidung. In welchem Beruf könnte ich denn überhaupt Fähigkeiten aufweisen? Welcher Beruf macht überhaupt Spaß? Zum Glück hat Farin Urlaub mich auch regelmäßig erinnert: „Du hast dich doch früher so für Tiere interessiert, wäre das nichts für dich?“ Danke Farin! Genau das ist es, ich bewerbe mich also für einen Ausbildungsplatz als Tierarzthelferin.
Ungeplante Umwege
Mit der Erleichterung, endlich eine Entscheidung getroffen zu haben, saß ich nun da und blätterte alle meine Absagen durch. Also fingen die Überlegungen von vorne an. Meine Ängste, keinen passenden Beruf zu finden, wurden so groß, dass ich mich gezwungen sah, einfach irgendetwas zu tun, bevor ich am Ende gar nichts mache. Um mir mehr Bedenkzeit über mein eigenes Leben und meinen Werdegang zu beschaffen, landete ich dann doch noch in der Oberstufe beim Abitur für Gesundheit und Soziales. Mir war von vornherein bewusst, dass ich weder im Gesundheitswesen noch im Sozialen Bereich tätig sein werde, was für all meine Zukunftsängste nicht unbedingt förderlich war, aber immerhin hatte ich mir das Abitur dann doch sichern können. Obwohl ich mir mit 16 so sicher war, niemals Abitur zu machen, ist es rückblickend so interessant zu sehen, wie entscheidend diese 3 Jahre für meine persönliche Entwicklung waren.
Im Vergleich, konnte ich mit meinen dann 19 Jahren schon viel eher entscheiden, was mir liegt und was nicht, welche Interessen man überhaupt in welchen Berufsfeldern wiederfinden kann und wie ich selbst dahin komme. Es zog mich tatsächlich zu einem Studium in einem komplett anderen Interessenfeld – Musik. Obwohl mir mit 16 ja eigentlich klar war, dass das niemals passieren wird. All die positiven und auch negativen Erfahrungen innerhalb von meinem individuellen Werdegang waren so entscheidend für meine heutige Persönlichkeit. Es war nämlich kein plötzlicher Sinneswandel, der mich an die Uni gezogen hat, sondern vielmehr ein Herausfinden von dem Ziel, das ich schon so lange gesucht habe.
Von der Realschule fast zu den Tierarztpraxen abgebogen, dann aber schnell zum Abitur für Gesundheit und Soziales umgelenkt, um dann eine Vollbremsung zu machen, sich zu drehen und in Richtung Musikwissenschaftsstudium zu fahren. Hätte man mir damals auf meiner Abschlussfeier mal sagen sollen. Auf dieser Strecke war es nicht nur notwendig, eine potentielle berufliche Perspektive zu finden. Vielmehr war es auch entscheidend, Enttäuschung zu erleben und Ehrgeiz zu entwickeln, um mich weiterzubringen. Ich habe so viel mehr zusätzliches Wissen über das eigentliche Leben entdeckt und kann mich darauf freuen, wie viel noch dazu kommen wird.
Das 16 – jährige Ich ist inzwischen 22 Jahre alt und kann die Zukunftsängste mittlerweile beruhigen. Ich musste nicht nur lernen, welcher Beruf am besten zu mir passt oder was ich am besten kann, ich musste in diesen 6 Jahren noch vielmehr lernen, wer ich als Mensch überhaupt bin und wer ich sein möchte. Es ist nicht nur der Beruf, der mich ausmachen soll, sondern viel mehr, wie ich als Mensch existieren will und kann. Selbst wenn es mit der Ausbildung geklappt hätte und ich nie zum Abitur oder an die Uni gegangen wäre, bin ich mir sicher, dass meine Persönlichkeit doch noch ihre Umwege gefunden hätte, um das zu finden, was sie auch wirklich erfüllt.
Ich reflektiere oft all die Zweifel und den gesellschaftlichen Druck, den ich in meinem Werdegang mit mir herumgetragen habe und finde es im Nachhinein fast schon lächerlich zu erwarten, dass man mit 16 Jahren das ganze Leben geplant haben soll. Ich befinde mich in meinem Lebenslauf an einem Abschnitt, den ich vor 6 Jahren noch komplett abgelehnt habe. Abgelehnt nicht, weil ich ein Studium verachtet habe, sondern vielmehr, weil ich mit 16 Jahren schlicht noch nicht so weit war. Und wer weiß wie die Zukunft verläuft? Vielleicht will ich in ein paar Jahren ganz neue Karriereziele einschlagen, weil sich mein Leben wieder verändert. Es werden mit Sicherheit noch viele schöne, aber auch genauso viele schlechte Erfahrungen kommen, die ich für meinen Werdegang brauche.
Ich weiß es jetzt noch nicht, aber ich weiß, dass meine persönliche Entwicklung nur davon profitieren kann, wenn ich sie wachsen lasse. Und mit einem nicht-linearen Lebenslauf ist mein heutiges Ich vollkommen im Reinen.