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Bild: bonnFM/Clara Schulz

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“

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„Entschuldigung, hier sitzt eine blonde Frau mit relativ großer Brust – was meinst du denn, was wir uns anhören?“ Höchstwahrscheinlich weder das Z- noch das N-Wort. Schlechte Frage, nächste Frage.

„Eine Sendung, in der vier Kartoffeln sitzen und mittels Karten über Rassismus abstimmen […]“ Was klingt wie der Anfang einer schlechten Anekdote von Micky Beisenherz, ist zur Realität geworden in der WDR-Talkshow „Die Letzte Instanz“. In der von Steffen Hallaschka moderierten Sendung waren am 30. November 2020 Jürgen Milski, Micky Beisenherz, Janine Kunze und Thomas Gottschalk zu Gast, mit der Prämisse kontroverse Themen „auf unterhaltsame Weise“ zu diskutieren und ihre Meinungen dazu kundzutun. Im Endeffekt ging es in der Wiederholung am letzten Freitagabend allerdings nicht um kontroverse Themen, zu denen man differenzierte Meinungen haben könnte. Statt Fragen zu stellen wie „Sollte man während der Corona-Krise in jeglicher Form reisen?“ oder ähnlich Kontroverses, wurde gefragt „Darf man das noch sagen?“ Unglücklicherweise an eine Talkrunde gerichtet, die weder die Expertise noch eine Berechtigung hat, das zu beantworten. Die einzige Qualifikation der Gäste war ihr „Promi-Status“ und die damit so oft einhergehende Weltfremdheit, die in einer Stunde Sendezeit unbestreitbar zur Schau gestellt wurde.

Die Auswahl der Gäste

Einer der wichtigsten Kritikpunkte wurde von PoC und BIPoC bereits auf diversen Plattformen wie Twitter und Instagram angeprangert: die Auswahl der Teilnehmer*innen. Das Problem der fehlenden Diversität und Repräsentation im deutschen Fernsehen ist keine neue Problematik, mit der wir im neuen Jahr das erste Mal konfrontiert worden. Also, wie kann es sein, dass keiner der Teilnehmer*innen in irgendeiner Weise Expert*in oder betroffen ist und dennoch über das Gebiet so „zwanglos“ diskutieren soll? Das Phänomen der „weißen ignoranten Schwafelrunden“ sollten wir wirklich im Jahr 2020 lassen, oder besser noch im 18. Jahrhundert. Autorin und Medienkritikerin Samira El Ouassil drückte sich deutlich zu der Problematik auf Twitter aus: „Hat man es nach Kritik an der Gästeauswahl in TV-Runden nach dem Mord an George Floyd, den Anschlägen in Hanau und Halle *wirklich* immer noch nicht verstanden? Wer über Diskriminierung sprechen möchte, aber niemanden einlädt, der von Diskriminierung betroffen ist, diskriminiert.“

Auch Enissa Amani machte ihrem Ärger in einem ca. 20-minütigen Video auf Instagram Luft, in dem sie die Ignoranz der Talkrunde aufs Schärfste kritisiert. Selbst sagt sie, dass die Diskussion der weißen, deutschen Gäste, die über die Grenzen von Rassismus entscheiden, der Diskussion von vier Menschen aus dem Nahen Osten gleicht, die über die Veranstaltung des Oktoberfestes beraten. Dieser Vergleich vermag jedem das Grundproblem der Talkshow-Konstellation vor Augen zu führen: der Mangel an kulturellem, historischem und politischem Hintergrundwissen der Befragten.

Die fehlende Empathie

Dieser Mangel, insbesondere das Unwissen um die Komplexität der Sache, fliegt den Zuschauer*innen der Sendung buchstäblich um die Ohren. Ähnlich wie die mangelnde Empathie der Gäste. Wenn es um rassistische Begriffe wie das N- oder das Z-Wort in Bezug auf die Sinti und Roma geht, wird sehr salopp der historische Kontext und der damit verbundene Schmerz für Betroffene ausgeblendet. Niemand in der Runde scheint den Gebrauch dieser Wörter besonders ernst zu nehmen. Ein Grund dafür sei laut Janine Kunze die Gleichgültigkeit mancher Minderheiten. Dafür nennt sie als Beispiel unter anderem ihre „farbigen“ und „afroamerikanischen“ Freunde. Dass der Zentralrat der Sinti und Roma sich gegen den Begriff wehrt, der ihnen von der weißen Mehrheit gegeben wurde, wird abgetan als „zwei bis drei Leute, die wahrscheinlich nichts Besseres zu tun haben und dann mit so einem Quatsch anfangen.“

Ein solches Abtun eines großen Rassismusproblems hätte in einem öffentlich-rechtlichen Medium nicht deklariert werden sollen als eine „Meinung“, sondern als Diskriminierung. Eine Sendung mit Nichtbetroffenen, die Betroffenen die Grenzen ihres eigenen Verständnisses und ihrer Empathie derart demonstrieren, sollte nicht ausgestrahlt, geschweige denn wiederholt werden. Die Jim-Crow-Gesetze, Sklaverei oder der Völkermord „Porajmos“ an den Roma während des Nationalsozialismus, werden neben M-kopf und Z-schnitzel weder ausreichend erwähnt noch verstanden. Was, wenn man es genau nimmt, das Sinnbild dieser Sendung verkörpert. Das blinde Kratzen an der Oberfläche des Themas statt der tatsächlichen Auseinandersetzung mit den eigenen Unzulänglichkeiten hätte ein Paradebeispiel aus Alice Hasters Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ sein können.

Die leider sehr ungenierte Zurschaustellung dieser Unwissenheit ist nur schwer wieder gutzumachen. Es stellt sich die Frage: Was nun? Autorin und Kolumnistin Jasmina Kuhnke bringt es auf den Punkt: „Haben Nichtbetroffene schon wieder mal beschlossen, dass ein ‚Sorry‘ total ‚stark und mutig‘ ist und als Entschuldigung für rassistische Beleidigungen von Minderheiten ausreichen muss und ‚jetzt auch mal gut ist, mit der Empörung‘?“ Aus dem Grund ist eher mehr Empörung angebracht, trotz bereits veröffentlichter Entschuldigung von Micky Beisenherz und Janine Kunze. Die berechtigte Kritik sollte nicht als „Shitstorm“ deklariert werden, sondern als das was sie ist: als angebrachte und berechtigte Kritik an einem Sendekonzept.

Ein „Sorry“ reicht nicht aus

Der Umstand, dass dieses Format den Titel „Die Letzte Instanz“ verliehen bekommen hat, ist ähnlich wie die Sendung selbst: kritikwürdig. „Die Letzte Instanz“ beschreibt im Rechtsjargon das Höchstgericht und dessen Urteile, welche meist nicht mehr anfechtbar sind. Dabei ist genau das nicht die Prämisse der WDR-Show, wie der Sender es in seiner Entschuldigung betont: „[…] rückblickend ist uns klar: Bei so einem sensiblen Thema hätten unbedingt auch Menschen mitdiskutieren sollen, die andere Perspektiven mitbringen und/oder direkt betroffen sind. Wir lernen daraus und werden es besser machen.“ Wie Amani bereits in ihrem Instagram-Video sagt, möchte sie überhaupt nicht eingeladen werden in derartige Runden. Es wurde nicht die Problematik des Rassismus untersucht, sondern es wurde vielmehr der Frage nachgegangen, wie rassistisch man sein darf, ohne einen Aufschrei zu erzeugen.

Deswegen wäre es möglicherweise interessant nicht nur mehr Diversität in solche Talkrunden zu bringen, sondern darüber hinaus die Intention und die grundlegende Struktur dieser zu verändern. Die Frage, ob man das noch sagen darf, ist nämlich die falsche. Vielmehr sollte gefragt werden, weshalb ein Format in dieser Form überhaupt durchgewinkt wurde. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass sich da „zwei bis drei Leute, die wahrscheinlich nichts Besseres zu tun haben und dann mit so einem Quatsch anfangen“ zusammengefunden haben.