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Serotoninbooster im Palladium – girl in red in Köln

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Wer sich am Ostersonntag in Köln Mühlheim aufgehalten hat, konnte den wandernden Pride Flags vermutlich gar nicht aus dem Weg gehen. Sie alle waren auf dem Weg in Richtung Palladium, da dort girl in red auf ihrer make it go quiet Tour Halt machte und für einen emotionalen Tanzabend sorgte.

Als erster obligatorischer Schritt wird die lesbian pride flag um die Schultern der jungen Künstlerin aus Norwegen gelegt, die die Bühne gerade mit einem liebevollen „you stupid bitch / cant you see / the perfect one / for you is me“ betreten hat. Tosender Applaus und das Schwenken von Regenbogenflaggen folgen. Dies sollte der Auftakt für einen Abend sein, an dem Verlobungsringe angesteckt und Mütter am Telefon über die sexuelle Orientierung ihrer Tochter informiert wurden. Die Rolle der Queer-Ikone girl in red ist an diesem Abend kaum zu überschätzen.   Doch zurück zum Beginn: Am Ostersonntag den 09. April, entrissen sich mehrere tausend junge Menschen den österlichen Kaffeetafeln im familiären Kreis, um stattdessen mit bunten Outfits und Plateaustiefeln zum restlos ausverkauften Palladium in Köln zu pilgern. Empfangen wurden sie in einem großen Saal, der schnell um einige Pride Flags ergänzt wurde und schon bald mit den Klängen von Supporterin Harriette gefüllt wurden. Die Newcomerin aus Texas (USA) wickelte die Menge schnell mit ihrer lächelnden Performance, ihrem großen Hit at least i’m pretty und ihren blonden langen Zöpfen um den Finger und sammelte so sicherlich ein paar neue Kölner Anhänger*innen.

Pop im Schlafzimmer

Pressebild lady in red
Bild: Jacqueline Landvik

Die Stimmung und vor allem auch die Luft waren bereits gut aufgeheizt als die langersehnte girl in red endlich vor ihren Fans auf der Bühne steht. Die Merch Tshirts mit der Aufschrift: „Finally we’re doing these fucking shows. Sorry I kept you waiting” geben einen Hinweis darauf, dass das Konzert im Rahmen der make it go quiet Tour bereits im vergangenen Jahr hätte stattfinden sollen. Nachtragend scheint das Publikum aber keineswegs zu sein. Ein Jahr Vorbereitung auf das Konzert hat sich definitiv ausgezahlt, denn die Liedtexte waren bei der Masse gut einstudiert und wurden je nach Stimmung zum Beispiel bei midnight love leise mitgesummt oder bei i wanna be your girlfriend laut heraus geschrien. Wer glaubte bedroom Pop ließe sich auf großen Bühnen nicht gut transportieren, der wurde an diesem Abend eines Besseren belehrt. Denn mit gezieltem Basseinsatz konnte auch bei ruhigen Passagen mitgetanzt werden.

Coming-Out on Stage

Lange hat es aber nicht gedauert bis girl in red, die mit bürgerlichem Namen Marie Ulven heißt, in ihrem Ablaufplan unterbrochen wurde. Aus dem Publikum drang die Stimme eines Fans, die sie bat, ihr Coming-Out bei ihrer Mutter zu verkünden. Kurzerhand wurde ein Telefon mit gewählter Rufnummer durch die Reihen zur Bühne gegeben und es folgte ein längeres Telefonat zwischen Marie und Sabine. Ohne große Umschweife spricht die Künstlerin vor versammelter Menge in das Handymikrofon: „she wants me to tell you that she is pan“. Auf die Reaktion „she is what?“ folgt ein bestimmtes „she likes boobs too!“ stets begleitet von großer Zustimmung und Beifall aus dem Publikum. Als Mutter Sabine ihre Tochter – und symbolhaft alle im Raum Versammelten – mit den Worten „I’m fine with that“ und später „I love my daughter” erlöst, tobt die Menge und stimmt im Chor feierlich ein „Sabine! Sabine! Sabine!“ an.

We fell in love in april

Wenige Songs später kommt es zu einer zweiten größeren Unterbrechung. Die Sängerin scherzt darüber, dass sie Angst hätte, die Menschen würden ihr aufgrund der In-Ear-Kopfhörer, die Künstler*innen während des Auftritts tragen, nicht glauben, dass sie tatsächlich singen könnte. Als Beweis stimmt sie das Intro von Hannah Montana an. Da der große Jubel aber vor allem von einem kleinen Zirkel nahe der Bühne ausging, reagierte die girl in red Sängerin verwirrt: „What did just happen?“ Erst einige Momente später wurde auch für den Rest der Anwesenden klar, dass soeben eine Verlobung ausgesprochen wurde. Wirkte Marie Ulven bei dem Coming-Out noch recht routiniert, so schien sie nun merkbar aufgeregt und musste die freudige Nachricht durch große Bewegungen auf der Bühne erst einmal verarbeiten. Auch Supporterin Harriertte verdrückte auf der Empore einige Tränen. Im Handumdrehen wird die Setlist umgeschmissen und den frisch Verlobten der ruhige Song we fell in love in october gewidmet.

„Do you listen to girl in red?”

Die gesamte Show wirkt wie ein Serotonin-Shot und sorgt für ein inneres Wohlbefinden unter den Gäst*innen, die auch nach der Show auf dem Hallenboden oder vor dem Palladiumgebäude erfüllt sitzen bleiben, sich in den Armen liegen und sich gegenseitig Spuren von vergossenen Tränen oder Schweißperlen kaschieren. Wer diesen Abend miterlebt hat, versteht warum ihre Musik Ausdruck und Identifikationspunkt einer großen Gruppe junger Menschen ist. Nicht ohne Grund ist die Frage, ob man die Musik von girl in red hört, ein inoffizieller Code, um herauszufinden, ob das Gegenüber homosexuell ist. Wünschen würde ich es mir aber für alle Menschen, auch außerhalb der Bubble, einen girl in red Abend mit der euphorisierten Stimmung und der großen Bedeutung ihrer Figur für die Szene einmal selbst zu erleben.