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Inventing Anna: Die Geschichte hinter der Netflix-Serie über die “Soho-Betrügerin”

Lesezeit: 3 Minuten

Inventing Anna: Die Geschichte hinter der Netflix-Serie über die “Soho-Betrügerin” Anna Delvey ist vielversprechend und zielt zeitgemäß auf unsere Faszination für Betrugsgeschichten ab, die auf wahren Begebenheiten beruhen – wie kommende Serien um Elizabeth Holmes oder Billy McFyre zeigen. Die Umsetzung von Inventing Anna ist allerdings in einigen Aspekten wenig überzeugend.

Die neunteilige Netflix-Serie Inventing Anna zeigt die Geschichte der sogenannten “Soho Betrügerin” Anna Delvey (mit richtigem Namen Sorokin) – eine mittzwanzig-Jährige pleite gegangene russische Emigrantin, die sich Mitte der 2010er Jahre in New York als reiche deutsche Erbin ausgab. Sorokin wickelte unter anderem reiche Investor*innen und Freund*innen durch Scheingeschichten um den Finger, um Geld zu leihen und auszugeben, welches sie nie beabsichtigte zurückzuzahlen.

Bis die Journalistin Jessica Pressler des New York aus dem New York Magazine Anna Sorokins Schwindel in einem Artikel 2018 aufdeckte. Presslers Artikel wurde zu einem der meistgelesen des Jahres – und die falsche Erbin zu einer vier- bis zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Gerichtsprozess setzt auch die Serienverfilmung an: Die Geschichte folgt der fiktiven Journalistin Vivian Kent – lose an Jessika Pressler angelehnt -, die die Betrugsverwicklungen der im Gefängnis sitzenden Anna erzählen möchte.

Die Grundidee ist vielversprechend

Filme und Serien, die auf einer wahren Geschichte basieren, setzen sich – wie ein echter Betrug – aus der richtigen Mischung aus Wahrheit und dramatischer Ausschmückung einiger Fakten und veränderten Details zusammen. Anna zeigt in der Serie verblüffende Dreistigkeit: Alleine um ihren selbsternannten Kunstclub (das “neue Soho House”) zu finanzieren, der komplett auf Lügen und null Vermögenswerten basiert, beantragte sie einen Kredit über 40 Millionen Dollar. 

Inventing Anna ruft diese Verbindung zu Beginn jeder Folge in Erinnerung: “Diese ganze Geschichte ist absolut wahr, bis auf all die Teile, die komplett erfunden sind.” Was wahr, und was erfunden, macht Zuschauende extrem neugierig und verleitet stark dazu, schon während und direkt nach den einzelnen Folgen, die echten Begebenheiten der Geschichte nachzulesen.  

Auch andere Faktoren sprechen zunächst für die Serie: Die Schöpferin Shonda Rhimes, Meisterin moderner Seifenopern wie Grey’s Anatomy, die zum ersten Mal eine wahre Geschichte adaptiert, die Schauspielerin Julia Garner, die sich mit ständigem finsterem Blick überzeugend in Anna verwandelt und auch das Ausgangsmaterial: Der Artikel der Journalistin Jessica Pressler aus dem New York Magazine von 2018. Obwohl Inventing Anna damit eine vielversprechende Grundlage hat, kommt sie in einigen Aspekten wenig überzeugend rüber.

Warum der Fokus auf fiktive Personen, wenn die realen Vorlagen so viel hergeben?

Was an der Serie besonders irritiert, ist die Entscheidung, statt aus Annas Persepektive die Folgen aus der Perspektive der fiktiven Journalistin Vivian Kent zu erzählen. In jeder der neun Episoden steht jemand im Mittelpunkt, der von Anna betrogen wurde: Ihr Ex-Freund, der Anwalt, den sie für ihren Club engagiert hat, ihr Trainer, ihre ehemalige beste Freundin Rachel Deloache Williams, der sie in Marokko eine Rechnung über 62.000 Dollar aufgebrummt hat. Doch die Geschichte von Anna Delvey durch die fiktive Journalistin zu erzählen wirkt im Großteil der Serie willkürlich und unnötig.

Denn warum sollte man eine Journalistin erfinden, wenn die meisten anderen Figuren reale, aus Storyteller-Sicht spannende Gegenstücke haben und ihre Details in der wahren Geschichte bekannt sind? Und was am wenigsten überzeugt: Die fiktive Journalistin wird schlecht in ihrem Job darstellt – teilweise grenzt ihre Arbeit an Unethik. (Vivian belügt ihren Chef, ignoriert Aufträge und bietet dem Verteidigungsteam ihre Hilfe an). Jedoch scheint dieser Aspekt aus erzählerischer Perspektive wenig Mehrnutzen zu haben und lenkt vielmehr von der eigentlich spannenden Geschichte Annas ab.

Anna und die offenen Fragen

Anna selbst bleibt dabei stets auf eisiger Distanz, wird aggressiv und mit wahnhaftem Ehrgeiz dargestellt. Trotzdem werden die interessantesten Themen, was dem Betrug zugrunde liegt, nicht wirklich tiefgehend beleuchtet: Warum jemand lügt, warum die Leute ihm oder ihr glauben, die Haufen von Verleugnung und kognitiver Dissonanz, die nötig sind, um beides aufrechtzuerhalten. Oder wie sehr Anna ihren eigenen Lügen geglaubt hat.

Stattdessen gibt es schwerStattdessen wirkt es wie ein schwerfälliges Hin- und Hergeschiebe einer journalistischen Handlung über Annas Manipulationen. Das Fazit: Wer also ein Fan von Betrugsgeschichten ist, die auf wahren Begebenheiten beruhen, wird hier fündig werden und kann an Inventing Anna Gefallen finden. Aber mit der kleinen Warnung, dass die Umsetzung in einigen Aspekten wahrscheinlich Geschmackssache bleibt.