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Zwischen nordischen Sagen und ägyptischen Gottheiten

Lesezeit: 6 Minuten

Diese Kolumne gibt die subjektive Meinung der Autorin wieder. 

Historische Sagen und Mythen sind im Trend! Zumindest in der Filmwelt. Denn im Monat April kehren sowohl nordische Sagen als auch ägyptische Gottheiten zurück auf die Leinwand: Als bildgewaltiges Kinoerlebnis erzählt The Northman eine klassische Rachegeschichte im Wikingerstil. Die neueste Marvel-Serie Moon Knight bringt wiederum ägyptische Gottheiten ins moderne London.

The Northman – Der nordische König der Löwen?

Mit The Northman versetzt uns Regisseur Robert Eggers in die nordische Mythologie und das Skandinavien des 9. Jahrhunderts. Dabei lässt er sich von der Amletus-Geschichte, einer altdänischen Sage, inspirieren. Aber Robert Eggers ist nicht der erste und einzige, der diese Sage als Vorlage genommen hat: Shakespeare machte nämlich aus Amletus den berühmten Hamlet. Und auch in Disneys Der König der Löwen finden wir Elemente aus Hamlet bzw. der Amletus-Geschichte wieder.

The Northman erzählt eine klassische Geschichte von Rache und Hass. Es geht um den Winkingerprinzen Amleth (als Erwachsener: Alexander Skarsgård), der als Kind mit ansehen muss, wie sein Vater König Aurvandill (Ethan Hawke) brutal von dessen Bruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet wird. Fjölnir wird also durch den Mord an seinem eigenen Bruder zum König und der junge Amleth begibt sich auf die Flucht.

So sieht sich der Neffe seinem bösen Onkel konfrontiert, was zunächst stark an die Geschichte von Der König der Löwen erinnert. Aber The Northman hat es in sich: Amleths Leitsatz “Ich werde dich rächen, Vater. Ich werde dich retten Mutter. Ich werde dich töten, Fjölnir” wird zum Motiv des ganzes Films und verspricht 137 Minuten voller Blut, Hass und Brutalität.

Die düstere Welt der Wikinger

Von Beginn an ist man als Zuschauer:in Mitten im Geschehen, was den Film zu einem spektakulären Kinoerlebnis macht: Von den Kamerafahrten zum detaillierten Kostümdesign und den bildgewaltigen Landschaften bis hin zum Soundtrack – man taucht direkt ein in die Welt der Wikinger. The Northman vermittelt dabei eine kalte, raue und düstere Stimmung, die bis zum Ende bleibt und uns Zuschauer:innen fesselt.

Der Film hat zudem aber auch etwas künstlerisches, ja fast schon “arthousiges”, zum Beispiel wenn das Szenenbild in einigen düsteren Mondschein-Sequenzen den Anschein hat, als sei es ins Schwarz-Weiße gewechselt.

Kann der Cast überzeugen?

The Northman spart nicht an Starbesetzung: So sind unter anderem Alexander Skarsgård, Ethan Hawke, Nicole Kidman, Willem Dafoe, Anya Taylor-Joy und sogar die Sängerin Björk dabei. Besonders überzeugen konnten Alexander Skarsgård und Willem Dafoe.

Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der Alexander Skarsgård einen Wolfspelz trägt und dabei erstaunlich nah an die Bewegungen eines echten Wolfes kommt. Diese animalischen Züge bindet Skarsgård auch in anderen Szenen immer wieder – zum Teil nur in Nuancen – ein, was ziemlich furchteinflößend wirkt.

Als Narr Heimir besticht Willem Dafoe durch eine völlig verrückte und teilweise sogar verstörende Darstellung. Dabei ist mir eine Szene besonders in Erinnerung geblieben: Es geht um eine Art Ritual, das den jungen Amleth darauf vorbereiten soll, eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, welches Dafoe leitet. Das gipfelt in einer Art Halluzination, die an einen Drogenrausch erinnert, in dem Vater und Sohn wie Wölfe auf allen Vieren kriechen und dabei heulen, während Dafoe dies weiter anstachelt.

Das Blut spritzt und die Köpfe rollen

Wer The Northman sehen möchte, muss sich auf eine ganze Menge Blut und Grausamkeiten einstellen: Rollende Köpfe sind hier nur das geringste Übel. Zwar ist ein gewisses Maß an Brutalität bei einem Film über Wikinger auch zu erwarten, doch übertrifft The Northman alle Erwartungen, was das Niveau an Brutalität angeht. Der Film wird sehr schnell sehr brutal und steigert dies mit dem Verlauf der Geschichte.

Für mich persönlich war diese kontinuierliche und nie abnehmende Brutalität dann doch etwas zu viel. Ich hätte mir gewünscht, dass der Film zwischendurch etwas weniger grausam ist. Gegen Ende ließ mich der Film tatsächlich mit einer leichten Übelkeit zurück.

The Northman – ein bildgewaltiger Leinwand-Epos

The Northman erzählt eine düstere und extrem brutale Wikingergeschichte von Rache und Hass, die man auf der ganz großen Leinwand gesehen haben muss. Ich saß knappe zwei Stunden gebannt und völlig unter Spannung im Kino.

Zwar ist die Geschichte wenig innovativ – eine klassische Rachegeschichte eben, wie wir sie schon von Shakespeares Hamlet oder Disneys Der König der Löwen kennen – was den Film an vielen Stellen vorhersehbar macht. Zudem wirkt The Northman ab der zweiten Hälfte repetitiv und zieht sich ein wenig in die Länge, da über die Rachegeschichte hinaus leider wenig passiert.

Dennoch haben mich die nordischen Mythen rund um den Untoten Draugr oder die Walküren in ihren Bann gezogen. Und auch wenn mir persönlich die Brutalität an einigen Stellen zu viel wurde, darf sie bei einem Film über Wikinger im 9. Jahrhundert nicht fehlen.

Moon Knight – Phase Vier des Marvel Cinematic Universe

Auch Marvel weiß, dass sich Mythen und Sagen hervorragend als Stoff für Filme und Serien eignen. Mit Moon Knight bringt Marvel eine Geschichte über ägyptische Gottheiten raus, die zu Phase Vier des Marvel Cinematic Universe (MCU) gehört. Die Serie basiert auf der gleichnamigen Comic-Reihe.

Der ägyptische Anti-Held

In Moon Knight geht es um den von Schlafstörungen geplagten Steven Grant (Oscar Isaac). Steven ist ein unscheinbarer Mensch und arbeitet im Ägyptischen Museum in London. Allerdings wacht er aufgrund seiner Schlafstörungen immer wieder an unbekannten Orten auf, ohne zu wissen wie er dort hingekommen ist.

Es stellt sich heraus, dass Steven unter einer dissoziativen Identitätsstörung leidet und gleichzeitig der Söldner Marc Spector ist. Marc Spector wiederum dient der ägyptischen Gottheit Khonshu als Avatar, weil diese ihm einst in Ägypten das Leben gerettet hat. Als Moon Knight sind Steven und Marc als Anti-Held auf den Straßen Londons unterwegs.

Moon Knight steht für sich

Eigentlich habe ich nicht mehr viel übrig für Marvel: Inzwischen kann man sich kaum noch einen neuen Film des MCU ansehen, wenn man nicht genau weiß, was in den Filmen und Serien zuvor passiert ist. Ich komme schon lange nicht mehr hinterher, weswegen ich mich eigentlich kaum noch für das MCU interessiere.

Moon Knight hat dann aber doch mein Interesse geweckt: Mit Themen rund um Identitätsstörung und ägyptischen Gottheiten bietet Moon Knight eine komplexe und spannende Geschichte. Und das beste daran: Die Serie gehört zwar offiziell zum MCU, aber Vorkenntnisse braucht man keine, um die Geschichte zu verstehen.

Oscar Isaac zwischen den Charakteren

Am meisten überzeugt mich Moon Knight durch die Darstellung von Oscar Isaac. Er schafft es, zwei völlig unterschiedliche Charaktere zu spielen und miteinander interagieren zu lassen. Dabei ist Steven Grant häufig der unscheinbare, überforderte und verängstigte Part, während Marc Spector ganz klar die dominante Rolle einnimmt. Und genau hierin liegt die schauspielerische Glanzleistung Isaacs: Er schafft es allein mit Nuancen deutlich zu machen, ob es sich gerade um Steven Grant oder Marc Spector handelt.

Ihren Höhepunkt findet Isaacs überragende Darstellung dann in den Szenen, in denen Steven und Marc gleichzeitig auftreten: Gegen Ende der Staffel müssen die beiden ihre gemeinsame Vergangenheit aufdecken und geraten dabei in so manchen Konflikt mit dem jeweils anderen, aber auch mit sich selbst. Isaac bringt die beiden Figuren und ihre Differenzen dabei so authentisch rüber, dass man als Zuschauer:in vergisst, dass es sich immer noch um ein und denselben Schauspieler handelt.

Das gewisse Etwas?

Die Serie hat insgesamt nur sechs Folgen, welche wöchentlich erscheinen. Es ist also noch nicht klar, in welche Richtung sich die erste Staffel von Moon Knight entwickelt. Die Geschichte ist bisher spannend und bietet einiges an Potenzial. Sie lässt andeuten, dass die Serie noch um einiges komplexer wird.

In den ersten zwei Folgen fehlt mir allerdings das gewisse Etwas. Ich hatte zumindest das Gefühl, dass die Handlung ein wenig auf der Stelle tritt, doch ereignet sich im weiteren Verlauf ein interessanter Plot Twist, wodurch die Serie noch mal an Spannung gewinnt.

Frischer Wind im Marvel Cinematic Universe

Insgesamt sticht Moon Knight bisher aus dem MCU heraus, denn die Serie lässt sich auch ohne Vorkenntnisse sehr gut verstehen – und das ist bei Marvel nicht selbstverständlich. Auch weil Moon Knight auf den ersten Blick kein klassischer Marvel-Held zu sein scheint und durch so manch ethisch fragwürdige Handlung eher ein Anti-Held ist, finde ich die Serie im Kontext von Marvel sehr erfrischend. Ich bin also gespannt wie es für Steve Grant und Marc Spector weitergeht. Ich hoffe auf eine zweite Staffel, in der wir tiefer eintauchen, in die komplexe Welt von Steven und Marc und noch mehr ägyptische Gottheiten und mythische Wesen zu sehen bekommen.

Von Wikingern und ägyptischen Gottheiten

Meine Watch-Empfehlungen aus dem Monat April haben zufällig beide mit alten Sagen und Mythen zutun. The Northman ist mit der nordischen Mythologie und dem Gesamtkontext historisch genauer, während Moon Knight als Marvel-Serie natürlich nur entfernt auf ägyptischen Gottheiten und Sagen basiert. Deshalb lassen sich die beiden Produktionen nur schwer vergleichen, auch wenn beide alte Sagen und Mythen zur Vorlag haben.

Dennoch scheint der Monat April zu zeigen, dass alte Mythologien richtig gut in der Filmwelt funktionieren und auch Stoff für die moderne Gegenwart liefern. The Northman und Moon Knight zeigen, dass sie unterschiedlich umgesetzt werden können und damit Potenzial für spannende Interpretationen bieten. Das ist sicherlich keine neue Erkenntnis – aber eine die beim Zuschauen viel Spaß macht.