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Bild: Jana Rogmann

Meine Uni in der Handtasche

Lesezeit: 3 Minuten

Diese Kolumne gibt die subjektive Meinung der Autorin wieder.

Eine Kolumne über die Hochs und Tiefs des digitalen Semesters und warum ich seit Neustem während der Vorlesung meinen Kaktus anstarre.

Seit zwei Monaten ist meine Universität nur noch etwas größer als ein DIN A4 Blatt und wiegt 1,5 Kilo. Denn wegen der Umstellung auf die digitale Lehre ist mein Laptop momentan nicht nur Bibliothek, sondern auch Hörsaal, Seminarraum, Hochschulsport und Prüfungsamt in einem.

Das ist doch alles großer Mist

Bis vor wenigen Wochen war ein komplettes Online-Semester unvorstellbar und meine Unzufriedenheit über die Umstellung groß. Sie bedeutete vor allem dauergestresst die Materialien in den verschiedensten Ordnern auf eCampus zusammen zu suchen und während der acht Uhr Vorlesung einzuschlafen, an der man aus dem Bett heraus teilnehmen wollte. Bis heute verfolgt mich die Angst ausversehen das Mikrophon aktiviert und laut geschnarcht zu haben. Am meisten vermisste ich es jeden Tag ‚echte Menschen‘ zu sehen und versuchte mir einen Überblick zu verschaffen über den Text, der unbedingt sonntagmorgens für den nächsten Tag hochgeladen werden musste. Immer und überall erreichbar sein – nichts für mich. Ich schaffe es ja noch nicht mal auf meine WhatsApp-Nachrichten regelmäßig zu antworten.

Doch alles nicht so schlimm?

Inzwischen ist das Ganze ein wenig entspannter geworden. Natürlich vermisse ich es immer noch, meine Freundinnen und Freunde nicht jeden Tag zu sehen. Doch nach und nach beginne ich Gefallen zu finden an den Online-Vorlesungen. Ich kenne so viele Namen meiner Mitstudierenden wie nie zuvor und habe herausgefunden, was man alles während eines Zoom-Meetings machen kann. Mittagessen kochen? Kein Problem. Mein Frühstück oder Abendessen verlege ich ebenfalls gerne auf die Zeit meiner Seminare. Aber warum muss es immer so etwas ‚Normales‘ wie Zimmer aufräumen oder essen sein? Auch wenn mir der Gang zur Toilette mit der Vorlesung nach wie vor ein wenig riskant erscheint, gibt es doch noch viel mehr kreative Möglichkeiten: Karten spielen, Lichterkette aufhängen, Snapchap Filter auf andere teilnehmenden Personen anwenden, Kekse backen, joggen gehen … Die Versuchung ist eben zu groß, wenn die Ablenkung  direkt nebenan und die Motivation sehr weit weg ist. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es mir viel schwerer fällt in digitalen Seminaren meine Konzentration aufrecht zu erhalten. Obwohl ich mich während Präsenzunterricht ganz gut konzentrieren kann, starre ich bei Zoom oft schon nach zehn Minuten meinen Kaktus an und frage mich, ob er nicht traurig ist bei mir im Zimmer statt in der Wüste zu stehen.

Du hast doch jetzt viel mehr Zeit!

Gut also, dass meine Kurse digital meistens nicht so lange dauern und FLEXIBILITÄT im digitalen Semester groß geschrieben wird. Denn wen interessiert es schon, ob die aufgenommene  Vorlesung um acht Uhr morgens oder abends angehört wird? Also habe ich so viel Zeit gewonnen. Zeit, die ich für den Weg bis zur Uni gebraucht hätte. Zeit, die ich mit dem Suchen der richtigen Räume verbrächte. Und Zeit, die ich spontan nach der Vorlesung in einen Cafébesuch investiert hätte. Die Frage ist nur: Wo ist die gewonnene Zeit hin verschwunden? Wahrscheinlich wandert sie als Energie in meine Steckdose, an der ständig mindestens ein technisches Gerät hängt. So sitze ich oft inmitten des Kabelsalates an meinem Schreibtisch und merke, dass ich schon wieder nicht das Haus verlassen habe.

Dabei passt meine Uni doch jetzt ohne Probleme in meine Handtasche. Aus diesem Grund pendle ich fröhlich zwischen Bonn und meiner Heimatstadt hin und her und nehme das Beste aus beiden Leben mit. Momentan könnte ich an jeden Ort der Welt fahren, solange er WLAN hat. Wie wäre es mit einem spontanen Städtetrip? Oder einem Besuch bei einer weit entfernt wohnenden Freundin?  Wer weiß – vielleicht schnappe ich mir demnächst einfach meine Uni und fahre mit ihr ans Meer.