Egal, wo man ist und egal, was man tut: Man kann ihm nicht entkommen. Er wird als universeller Werkstoff gefeiert oder als umweltschädliche Pest verteufelt. Und trotzdem packen wir unsere Lebensmittel in ihn ein: Plastik.
In jeder Ausgabe der Radiologie, der Wissenschaftssendung bei bonnFM, durchleuchten wir ein spannendes Thema. Hier haben wir für euch die Inhalte unserer Beiträge aufbereitet.
Lust auf mehr Radiologie? Hier findet ihr alle bisherigen Ausgaben.
Plastik ist nicht immer nur schlecht
Nach ersten Entwicklungen bereits im 19. Jahrhundert und insbesondere in den 1920er Jahren startete die Kunststoffproduktion im großen Stil ab etwa 1950. Plastik ist vor allem deshalb so beliebt, weil es stabil, leicht und noch dazu kostengünstig ist. Im medizinischen Bereich forscht man an künstlichen Blutgefäßen aus dem 3D-Drucker, die den bisher noch komplizierten Ersatz körpereigener Blutgefäße ermöglichen würden. Außerdem sind sie eine wichtige Vorstufe zur Entwicklung künstlicher Organe. Künstliche Herzklappen werden inzwischen nicht mehr wie früher aus Stahl, sondern aus Kunststoff hergestellt. Dadurch reduziert sich vor allem das Thromboserisiko. Auch im Alltag hat Plastik viele Vorteile gegenüber anderen Materialien wie beispielsweise Holz oder Metall: Wer hat denn schon ernsthaft Lust, einen schweren, komplett aus Metall bestehenden Laptop durch die Gegend zu schleppen?
Deckel gegen Polio
Poliomyelitis (kurz: Polio) ist ein Virus, der Kinder unter 5 Jahre befällt und die körperliche Kommunikation mit Motoneuronen stört. Durch diese Beeinträchtigung können Muskeln permanente Schäden erleiden: Oft hat Polio deswegen schwere Behinderungen zur Folge. Befällt der Virus lebenswichtige Muskelgruppen wie Herz oder Lunge, kann er auch tödlich sein.
In den 1950er Jahren wurden mehrere Impfungen gegen Polio entdeckt. Das war besonders wichtig, weil es keine effektive direkte Behandlungsmethode gab. Die Erkrankungsraten sind seitdem stark gesunken. In Regionen mit schwacher medizinischer Infrastruktur fehlen aber auch heute die Mittel, großflächig zu impfen und dort ist Polio nach wie vor ein großes Problem.
Der Verein „Deckel drauf“ e.V. arbeitet daran, dieses Problem zu lösen. Er sammelt Plastikdeckel, um diese gewinnbringend zu recyclen und verwendet die Einnahmen, um Polioimpfungen an Bedürftige zu spenden. Seit August 2014 sind mehr als 170 Millionen Deckel und somit mehr als eine Million Schluckimpfungen gegen Polio gesammelt worden.
Der Clou: Alle können die Plastikdeckel abgeben, die sie zu viel haben. Abgabestellen hierfür sind über ganz Deutschland verteilt und können auf der Website von Deckel drauf e.V. nachgeschlagen werden. Allein drei davon stehen in Bonn!
- Stadtteilcafe Dransdorf (Lenaustraße 34, 53121 Bonn)
- REWE Dirk Pfleger (Schulstraße 5, 53757 Sankt Augustin)
- DRK-Quartiersbüro + Macketreff (Vorgebirgsstraße 43, 53119, Bonn)
Einweg- und Mehrwegpfand
Fast jeder zweite Bürger kennt den Unterschied zwischen Einweg- und Mehrwegflaschen nicht. Die Mehrwegflasche aus Glas kann bis zu 50 Mal neu befüllt werden. Plastik-Mehrwegflaschen bis zu 25 Mal. Von der Produktion über den Transport sind Mehrwegflaschen Umweltschonender als die Einwegflaschen, die nicht neu befüllt, sondern recycelt werden. Hier wird also für jedes Getränk eine neue Flasche produziert. Das Logo ist das klare Unterscheidungsmerkmal und auch am Pfandpreis kann man Mehr- und Einwegflaschen unterscheiden. Für Mehrwegflaschen bekommt man 8 oder 12 Cent, für Einwegflaschen dagegen 25 Cent am Pfandautomat zurück.
Macht Mikroplastik uns krank?
In vielen menschlichen Blut- und Urinproben finden sich inzwischen Plastikbestandteile. Besonders problematisch ist dabei der Stoff Bisphenol A (BPA), der unter anderem für die Herstellung von Hartplastik unerlässlich ist. Dieser Stoff ist zum Beispiel in Konservendosen, Zahnfüllungen aber auch Kassenzetteln und Geldscheinen enthalten. Es kann laut Forschern Diabetes und Herzkreislauferkrankungen auslösen. Auch an der Uni Bonn hat der Physiologe Prof. Dr. Dieter Swandulla im Dezember 2012 zur BPA-Problematik geforscht. Er fand heraus, dass BPA nicht nur das Erbgut verändert, sondern auch den Herzrhytmus und die Kommunikation von Nervenzellen untereinander beeinflusst. Insgesamt ist laut Swandulla aber noch weitere Forschung nötig, um weitere Aussagen dazu treffen zu können. Der Einzelne kann sich leider kaum vor BPA schützen, helfen würde hier nur eine weltweite Verringerung von Produktion und Verbrauch von BPA. Nicht zuletzt deshalb fordert der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) ein generelles gesetzliches Verbot des Stoffes.
Die große Luftblasen-Barriere
Ein großer Teil, etwa 80%, des Plastiks im Meer, kommt ursprünglich vom Land. Die meisten Methoden der Plastikbekämpfung versuchen, den Plastik zurückzuholen, der schon ins offene Meer gelangt ist. Man kann jedoch schon früher ansetzen und versuchen, zu verhindern, dass der Plastikmüll das Meer überhaupt erreicht.
Ein Team niederländischer Wissenschaftler*innen setzt dabei auf Luftblasen. Kernstück dieser Technologie im Entwicklungsprozess sind mit Luft gefüllte Schläuche, die schräg zur Fließrichtung des zuführenden Gewässers auf dem Grund verlaufen. Durch kleine Löcher in der Schlauchwand steigt eine Wand aus Luftblasen empor, die Plastikstücke aufhalten, ins offene Meer zu driften. Kombiniert mit der vorwärts gerichteten Fließkraft des Gewässers werden die Plastikstücke so an die Ufer getragen, wo sie leicht aus dem Wasser entfernt werden können.
Mit dieser Methode können bis zu 80% des Plastiks an der Wasseroberfläche abgefangen werden und etwa die Hälfte des Mülls Unterwasser. Stücke ab ca. 3mm Größe können schon entfernt werden, nur besonders schwere Teile, die auf dem Boden treiben, werden nicht erfasst. Der große Vorteil gegenüber anderen System der Müllentfernung liegt darin, dass die kleinen Luftblasen weder die Tiere im Wasser, noch den Schiffsverkehr beinträchtigen.
Plastik zerfressende Raupen und Bakterien
Mehrere Jahrhunderte würde es dauern, bis sich Kunststoff natürlich abbaut. Neue Erkenntnisse zeigen allerdings: Es gibt Organismen, die sich schneller an unsere Erfindung angepasst haben als wir.
2016 haben Forscher am japanischen Kyoto Institute of Technology ein Bakterium namens Ideonella sakaiensis entdeckt. Es besitzt zwei Enzyme, die den Kunststoff PET (Polyethylenterephthalat) in zwei ungefährliche Stoffe zerlegt. Die Forscher vermuten, dass sich diese Enzyme erst in den vergangenen 70 Jahren seit der Verwendung von PET Kunststoffflaschen entwickelt haben. Bei optimalen Temperaturen dauert der Abbau eines kleinen Stück PETs allerdings mehrere Wochen.
Schneller sind hingegen die Larven der großen Wachsmotte Galleria mellonella. Die spanische Biologin Federica Bertocchini und ihr Team beschrieben diese vergangenes Jahr im Magazin ,,Current Biology“. Diese besitzen ein Enzym, welches den weit verbreiteten Kunststoff Polyethylen (PE) zersetzen soll. Rund 100 Wachsmotten Larven fressen in 12 Stunden etwa 92 Milligramm einer normalen Einkaustüte, so Bertocchini. Mit diesen Entdeckungen hofft das Forscherteam auf eine biotechnologische Anwendung: Sie möchten das Enzym isolieren und in großem Umfang reproduzieren, um es zum Plastikabbau zu verwenden. Forscher um den Chemiker Till Opatz von der Universität Mainz kritisieren jedoch die Erkenntnisse. Falsche Messungen hätten die Ergebnisse verfälscht. Denn es sei durchaus anzunehmen, dass die Larven den Kunststoff nicht verdauen, sondern bloß klein gehäckselt wieder ausscheiden.
Bakterien, die Bioplastik herstellen und Kunststoff schlingende Larven. Auch wenn diese Entdeckungen noch weiterhin unter die Lupe genommen werden müssen, sind es entscheidende Schritte zur Lösung unseres globalen Müllproblems.
Unverpackt-Laden: Freikost Deinet
In unserem täglichen Konsumverhalten begegnet es uns überall. Obst, Gemüse, Käse, Fleisch, Nudeln und vieles, vieles mehr ist mit ihm ver- oder eingepackt. Die Rede ist von Plastik. Auch in Deutschland hat die „Zero-Waste-Bewegung“ dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen versuchen ihren Plastikverbrauch durch ein bewussteres Konsumverhalten aktiv zu verringern. Aber wie ist das möglich? Unsere bonnFM Reporterin Lara Lohmann hat sich mit dem Thema verpackungsfreie Supermärkte auseinandergesetzt und ist hier in Bonn fündig geworden. Freikost Deinet ist ein Einzelhandel in Bonn-Duisdorf, der eben genau dies versucht: den Verzicht von unnötigen Einwegverpackungen. Lara hat sich bei Freikost Deinet mal umgesehen und mit Hilke Deinet, die eine der beiden Besitzer des Ladens ist unterhalten. Antworten gibt es unter anderem zu den Fragen: Wie man überhaupt auf die Idee kommt einen solchen Laden zu eröffnen und welche Produkte schwierig sind ohne Einwegverpackung anzubieten. Hört einfach mal rein!
Umweltgeologie und Plastik
Im Steinmann-Institut der Uni Bonn erzählten uns Dr. Gösta Hoffmann und Valeska Decker aus der AG Umweltgeologie, was Geologen mit Plastik zu tun haben. Die Eigenschaft von Plastikmüll kaum abbaubar oder zersetzbar zu sein, nutzten die Geologen hier in einer vergangenen Studie um extreme Flutereignisse zu rekonstruieren, die an Land einen Spülsaum hinterlassen. Dieser Spülsaum enthält natürliche Ablagerungen wie Holz, aber durch den Menschen auch künstliche wie Plastikmüll, da Plastik ebenso wie Holz schwimmt. Die Geologen sammelten den Müll in einem so entstandenen Spülsaum ein und konnten anhand der Produktionsdaten auf Plastikmüllverpackungen zurückdatieren, welcher Wirbelsturm für das Flutereignis eine Rolle gespielt hat.
Ein aktuelles Projekt der AG möchte die Auswirkungen von Plastikmüll auf Mangrovenwälder untersuchen. Das Wurzelwerk der Mangroven arbeitet als eine Art Filter, der durch Regen oder Flüsse angespülten Plastikmüll einfängt. Diese Stoffe setzen sich ebenso im Sediment ab und beeinflussen wiederum andere Organismen dieses Ökosystems. Durch ein besseres Verständnis dieses Vorgangs könnte in Zukunft vielleicht die Plastikmüllquelle erkannt sogar Gegenmaßnahmen entwickelt werden.