Vor einigen Jahren hätte es mir vermutlich das Teenager-Herz gebrochen. Jetzt ist Bradley Simpson, der Leadsänger der britischen Boyband The Vamps, zum ersten Mal auf Solo-Tour. Und ich erhoffe mir, nach Jahren der Funkstille noch einmal das Fan-Sein zu spüren, was ich ein bisschen verlernt habe.
Ich war gerne Fangirl
Der Neonröhrenschriftzug des Luxor leuchtet in einem grellen Rot in den Kölner Novemberhimmel. Das Licht reicht bis zum Tourbus, der direkt vor der Tür getankt wird. Auf dem Bordsteinweg dazwischen die wartenden Fans. Always like this heißt die erste EP von Bradley Simpson, für den sie heute gekommen sind. Always like this also, dabei ist hier gerade nichts wie es mal war. Denn Bradley Simpson kommt allein, ohne seine Band The Vamps.
Auch ich stehe hier allein, das mag ich mittlerweile. So ganz anders als vorher. Da gab es Fangruppen, geplante Fanprojekte, verwackelte Edding-Nummern auf der Hand, leuchtende Haarreifen, gebastelte Plakate, Fanpages und Freude über den gefangenen Gitarren-Pick und die benutzte Setlist, an der Klebeband und Dreck von der Bühne hingen. The Vamps: Das war eine Zeit lang ein Teil meines Lebens. Ich war gerne Fangirl.
Heute sind meine Tourshirts nur noch verwaschene Schlafshirts, die Musik auf Spotify ist nicht runtergeladen, die neuen Lieder kenne ich nicht mehr. Und die Mitglieder der Vamps machen jetzt zusätzlich ihr eigenes Ding. Ich möchte wissen, wie das ist, das Idol eines kleinen Lebensabschnitts in einer neuen Rolle zu sehen. Und ganz insgeheim hoffe ich, dass er einen Vamps-Song spielt, so fürs Gefühl.
Manche von uns bleiben
Ich frage die erste Gruppe in der der Schlange, wie lange sie schon anstehen. Seit 10, erzählen sie. Ich erkenne die einstellige Edding-Nummer auf ihren Handrücken. Ich weiß, ein Konzert beginnt nicht erst mit dem Einlass. Direkt hinter der Gruppe sehe ich ein altbekanntes Gesicht aus dieser alten WhatsApp-Fangruppe. Getraut sie anzusprechen habe ich mich nicht. Manche von uns bleiben also hier, zum Glück.
Einlass um 18 Uhr – endlich. Der Raum vor der Bühne ist schnell voll, ausverkauft, etwa 500 Menschen. Die erste Reihe (alle VIP-Tickets) sitzt auf dem Bühnenrand, ein paar Fans stehen am Merch-Stand, wenige halten ein Getränk in den Händen. Es läuft eine Pop-Playlist. Kein Bühnengraben, keine Security, zwei Bühnentechniker, Mini-Garderobe, Bar; Clubkonzert eben. Ich brauche nicht lang, bis ich das erste The Vamps-Shirt sehe. Und das Zweite. „Das ist für mich eigentlich Kindheit“, höre ich neben mir.
Ein neuer Anfang
Der Club wird vom sympathischen Londoner James Smith und seiner Akustikgitarre aufgewärmt. Dann wieder warten. Ein schlaffes, schwarzes Stofftuch weht müde an der hinteren Bühnenwand. Darauf in silbernen Buchstaben: Bradley Simpson. Als dieser schließlich 10 Minuten zu spät auf die Bühne tritt, kreischt die Menge, die Handykameras schießen in die Höhe.
Ich starre ihn an und versuche an jeder Bewegung zu erkennen, was anders ist. Er hat öfter eine Gitarre in der Hand als in der Band. Da gab es schließlich einen Gitarristen. Seine Gitarrensolos sind heute ein wichtiger Bestandteil, scheint es mir, während er die Gitarre demonstrativ anhebt. Und er hält nicht die Hände der ersten Reihe, lehnt sich nicht in der typischen Boyband-Façon in die Crowd. Da sind auch keine ausgestreckten Arme, die verzweifelt versuchen, ihn zu berühren – die Fans sind schüchterner, Simpson vielleicht auch. Er ist weniger unnahbar, wie ein kleiner Artist, der sich einfach freut, Musik zu machen. Immer wieder lächelt er Drummerin und Bassisten im Hintergrund an. Irgendwie fühlt man sich wieder wie ein Fan der ersten Stunde.
Alle für einen, einer für alle
Die Anzahl der Handys nimmt an diesem Abend nicht ab. Was hier passiert, wird mit der Fangemeinde geteilt. Das ermöglicht, dass die Fans auch noch unveröffentlichte Songs schon mitsingen können. Davon gibt es einige, ein neues Album ist auf dem Weg, verspricht Simpson. Das Solo-Musizieren scheint ihm zu gefallen. Mehrmals betont er, wie sehr er diese Tour genießt. Die Songs fühlen sich persönlicher, verletzlicher an, der Sound ist anders, grooviger. Aber auch The Vamps haben sich zuletzt verändert und ihr ältestes Album nach 10 Jahren Bandgeschichte reVamped.
Jetzt sind alle nur für Einen da, Bradley Simpson. Und er steht allein für alle auf der Bühne. Klar, dass das Angst macht. „Iʼve been shitting myself“, sagt Simpson, „because I didnʼt know what you guys were gonna think“. Wieder viel Jubel, viel Bestätigung, das erkennt er an: „And genuinely, the support, I feel like all of this has been incredible. So, all I wanna do is just keep getting you more music, more shows, as much as I can do to give back to you guys, I will be doing it, I promise that.“
Döö-dö-dö-dö-dö-döö-döö
Weil Simpson mit seinen eigenen Songs natürlich keine 1 ½ Stunden füllen kann, wird die Setlist mit einigen Covers aufgestockt. Darunter Hot To Go – das wussten die Fans natürlich schon.
Die Melodie des Abends ist aber eine andere: Döö-dö-dö-dö-dö-döö-döö! Immer wieder erklingt sie aus dem Publikum, schnell mutig-laut. Und Simpson weiß, was die Fans hören wollen: „Yeah, I could go to a therapist or I could go to Bradley Simpson show.“
Simpson tanzt zu den Gesängen, kontrolliert die Lautstärke mit seinen Armen, lacht: „I fucking love cologne“. Als er dem Publikum dafür dankt, ihm ein neues Bier gezeigt zu haben (Kölsch natürlich), entwickelt sich der zweite Running-Gag: „drink, drink, drink!“
„Iʼm moving to Cologne!“
„I have a room!“
„Party at yours after this!“
Das ist es, was ganz anders ist: The Vamps haben fünf Jahre in Folge die Londoner O2-Arena gefüllt, Rekord. Jetzt steht Simpson keinen Meter erhöht vor wenigen hundert Leuten, kann sie sehen und hören, auf sie eingehen, ungefiltert, intimer. Dem Zuschauerraum ist er nicht nur räumlich viel näher, als er es bei den Konzerten seiner Band noch sein konnte. Und wenn Handylichter über den Köpfen wanken, dann glitzern die Buchstaben seines Namens hinter ihm.
Nachdem er das erste Mal von der Bühne geht, ruft er James Smith zurück vor das Publikum, ein gemeinsames Akustikcover, die Idee dafür sei spontan im Backstage entstanden. Nur für Köln spielen sie Candy von Paolo Nutini. Vorher aber erstmal Döö-dö-dö-dö-dö-döö-döö! und tanzen, wieder großer Jubel. Es wird viel gelacht.
Die Spuren
Ich versteh früh am Abend, dass er keinen The Vamps-Song spielen wird, er erwähnt die Band nicht einmal. Er steht als Künstler für sich selbst, als er den Abend „loud and fucking proud“ mit Picasso schließt. Bradley Simpson – deVamped also. Aber die Spuren bleiben im Merch, in den bekannten Gesichtern und in der Liebe zu einem Fandom. Dieses Kreischen, das habe ich vermisst. Ein Publikum aus überwiegend weiblich gelesenen Personen, ohne viel Gedränge, ein safer space mit schönen Outfits, das habe ich vermisst. Diese Wertschätzung für Musik und für die Person dahinter, das alles sammelt sich hier im Luxor.
Auch, wenn ich nicht geblieben bin, nehme ich mir vor, immer mal wieder zurückzukommen. Es ist nicht always like this, aber das muss es auch nicht. So wird es immer gewesen sein.
Vor der Tür warten einige Eltern auf ihre Kinder. So, wie 2019 mein Vater vor dem Palladium auf mich gewartet hat, nach meinem ersten Konzert, The Vamps natürlich.