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Bild: Chiara Lichter

Träume unter der Discokugel

Lesezeit: 4 Minuten

Der Raum ist klein und bunt, die Träume sind groß. Michèl von Wussow spielt in Köln die fünfte Show seiner „Angst gegen Vertrauen“-Tour. Nur ein Wort beschreibt diesen Abend: wholesome.

Eine kleine Bühne ruht am Ende der Tanzfläche. Die große Discokugel lässt das Licht in der Luft zerschellen. Tiefrote Wände umarmen den gut gefüllten Zuschauerraum im Tsunami Club Köln. Es riecht nach durchgetanzten Böden und stickerbunten Clubtoiletten. Die letzten sperrigen Winterjacken werden an der Garderobe abgegeben. Direkt fällt auf, wie gemischt das Publikum ist. Man sieht kurzes, graues und langes, buntes Haar auf erwartungsvoll wippenden Köpfen.

Erika Emerson bringt schöne Traurigkeit

Um 20 Uhr tritt Michèl auf die Bühne. „Hi ihr Lieben, moin Köln, was geht ab?“, sind die ersten Worte, die der gebürtige Norddeutsche dem Publikum zuwirft. Er kündigt Erika Emerson als supporting act an. Wussow selbst habe, „die ganze Zeit geheult“, als er zum ersten Mal ihre Musik gehört hat. Und als Emerson anfängt zu singen, wissen alle wieso.

Weil ihr Pianist es wegen den Bahnstreiks nicht nach Köln geschafft hat, steht sie nur mit ihrem MacBook auf der Bühne. Ihre klare, schmerzerfüllte Stimme singt von Selbstliebe, Trennung und dem Gefühl, nach einer schwierigen Zeit endlich wieder okay zu sein. Eine angenehme Traurigkeit fließt durch die Luft. Während sie singt, versteckt sie ihre roten Locken immer wieder unter der Kapuze des schwarzen Hoodies. Manchmal blitzen ihre goldenen Kreolen auf, die das gelbe Bühnenlicht reflektieren. Immer wieder bedankt sie sich „for coming hear me sing about sad things“.

Dagegen fühlen sich ihre Ansprachen zwischen den Liedern fast nach einer Comedyshow an. Sie versuche bewusst, zwischen den Liedern besonders lustig zu sein. Auch um zu zeigen, dass sie nicht immer weine, erzählt Emerson belustigt und spricht von einem „coping mechanism“. Das Publikum ist begeistert, klatscht, pfeift und jubelt noch, als sie die Bühne nach ein paar Songs wieder verlassen hat.

Hauptsache glücklich

Früh wird deutlich: Die Menge vor der Bühne hat Bock. Die letzte Traurigkeit wird aus dem Raum geweht, als Annenmaykantereits Tommi aus den Lautsprechern fliegt und die Kölner:innen ihren sympathischen Lokalpatriotismus feiern lässt.

Um 20:50 Uhr, nach angespannter Musik und Nebel vor einem grauen Bühnenlicht, tritt Michèl von Wussow mit Band auf die Bühne und eröffnet mit Hauptsache du bist glücklich das Konzert. Ein Song aus seinem aktuellen und ersten Album Angst gegen Vertrauen, das Anfang des Jahres rauskam. Mit diesem Titel besiegelt er auch die Stimmung des Abends: In den Pausen werden Witze gemacht, es wird sich über die Menschenmenge hinweg zugeprostet, gelacht, getanzt und laut mitgesungen.

Wussows raue, ehrliche Stimme dröhnt mal schmerzerfüllt, mal voller Freude und oft sehnsüchtig durch die Lautsprecher. Irgendjemand im Publikum sagt, dass das aber laut ist. Perfekt! Wenn der Musiker zwischen den Liedern ins Mikro spricht, dann schreit er eigentlich, mit einer Energie, die mitreißt.

Eine Lichtung im Menschenwald

„Es wird gemütlich, ich komme zu euch nach unten!“, kündigt er an und tritt die kleine Stufe der niedrigen Bühne hinunter in den Zuschauerraum, direkt unter die Discokugel. Dort beginnt er mit 116 Zeichen. Nur mit Akustikgitarre, ohne buntes Bühnenlicht, kein Mikro.

„Du bist für mich der November, wenn sich alles Schöne im Wald verpisst“, heißt es daraufhin in Berg. Dabei dreht er sich langsam im Kreis, wie eine Discokugel im Club zwischen einem zunächst schüchtern singenden Menschenwald. Mit einer kleinen Lichtung in der Mitte, um die das Publikum langsam schwankt. Das Schöne sammelt sich an diesem Novemberabend hier, meint man.

Michèl ist sichtliche gerührt, klopft sich immer wieder auf die Brust, verbeugt sich leicht und lacht – dankbar und auch ein wenig überfordert. „Das geht alles hier rein“, sagt er und tippt sich auf sein Herz, hinter dem Gitarrengürtel. Dann ertönt eine brüchige Stimme aus der Menge: „Bei mir geht’s nur raus, ey!“, begleitet von einem Schniefen. Das Publikum lacht – vielleicht der schönste Moment des Abends. Und das Publikum fasst immer mehr Mut, bis beim letzten Lied im Zuschauerraum endlich laut mitgesungen wird.

Von „alt“ bis unveröffentlicht

Michèl von Wussows Debutalbum steht im Mittelpunkt der gleichnamigen Tour. Aber auch seine aktuelle Single Keine Angst vor der Zukunft fegt durch die Menge. Mit Bolzen mit dir und Matilda singt er ebenso seine alten Songs – verhältnismäßig alt, denn die hatten erst ihren dritten Geburtstag.

Wussow erzählt in seinen Liedern von alter Freundschaft, der Beziehung zu seinem Vater, Liebe, Angst und Mut, zu sich selbst zu stehen. „Und ich träum, und ich träum, und ich träum“, lässt er das Publikum zu dem Song singen, in dem die namensgebende Zeile „Tausch’ jetzt Angst gegen Vertrauen“ optimistisch stimmt. Wussow kann auch politisch: In dem neuen, unveröffentlichten Song Mitte 20 im Arsch prangert er die unzureichende Klimapolitik an und singt von der gefühlte Ohnmacht unserer Generation. Der ebenso ganz neue Song Gib nie auf reiht sich dagegen wieder in seine Lieder ein, die wie Affirmationen wirken und zu Selbstvertrauen aufrufen.

Freude an der Musik steckt an

Eins sieht man an diesem Abend besonders: Da stehen Freunde auf der Bühne, die sich für- und miteinander freuen. Wussow betont den „DIY-Charakter“, den er am Musikmachen mit Freunden schätzt. Immer wieder lässt er Freudenrufe raus, lacht laut und ausgelassen über die aufgeheizte Menschenmenge. Sagt danke, ohne das Wort zu oft zu benutzen. Das Staunen sieht man der ganzen Band an. Dass es ein besonderes Konzert ist, muss jeder anwesenden Person klargeworden sein. Auch Wussow: „Ihr seid unfassbar Köln!“ und „Ihr seid Top 1 so far!“, ruft er in die Menge. Welches Publikum fängt da nicht an zu jubeln? Es ist kaum möglich, nicht mitzugrinsen. Diese Stimmung lässt sich nur mit einem Anglizismus fassen: Das war einfach wholesome.

Musik wie ein Pflaster

Die beiden letzten Songs des Konzerts sind klassischerweise die Bekanntesten. Während die Luft immer stickiger wird, verarbeitet er mit Atmen die Panikattacke einer sehr guten Freundin. Und auch die eigene Beziehung zur mentalen Gesundheit. Wussow ist dankbar, „dass sowas Heilendes und sowas Schönes dabei rausgekommen ist.“

Ganz am Ende singt er Narbenherz – und das passt, denn dieser Abend war (Entschuldigung für diese schnulzige Beschreibung) der Narbenroller aus der Apotheke, das Pflaster mit kleinen Blümchen drauf und das gutgemeinte Schmerzen-Wegpusten zusammen. Wholesome eben.

Auch als Wussow und Band die Bühne nach liebevollen Verbeugungen zum letzten Mal verlassen, ruft das Publikum wieder nach einer Zugabe – aber die Bühne bleibt leer. Jedoch nur für’s erste, denn in einem Jahr legt Michèl von Wussow wieder einen Tourstop in Köln ein. So lange muss das Pflaster halten.