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Bild: Caroline Jüngermann

Versöhnung mit dem inneren „Pick-me Girl“

Lesezeit: 3 Minuten

Damit anzugeben, wie anders man als andere Frauen sei – eine typische Eigenschaft des Pick-me girls“? Sophie Passmann hat diesem Phänomen ein ganzes Buch gewidmet, wir waren für euch auf der anschließenden Lesereise in Köln.

Auf der Bühne stehen ein Barhocker, ein kleiner schwarzer Tisch mit einem Glas Wasser – und natürlich – ein Weißweinglas passend zur nebenstehenden Flasche bereit. Dass ihre Bücher hauptsächlich von Frauen und Mädchen gelesen werden, zeigt sich auch im Publikum. Dieses strömt langsam ins Gloriatheater, die Stimmung ist heiter und vertraut. Hinter uns wird über Beziehungsprobleme geredet. Als Sophie Passmann mit einem aufgedrehten „Hallo Köln!“ auf die Bühne springt, beginnt die Show.

Beim Erzählen setzt sie auch ihren ganzen Körper ein, spricht schnell und liest nur wenig aus dem Buch vor. Wer hören will, wie sie vorliest, solle nach ihr doch einfach das Hörbuch hören (das geht sogar auf Spotify). Ein bisschen liest sie dann aber doch, muss mehrmals ansetzen, bevor sie die Einleitung zu Ende liest, das heißt, mehr liest als nur die Überschrift. Dabei sitzt sie dann fast pflichtbewusst auf dem Barhocker, steht danach auf und spricht wieder direkt mit dem Publikum. 

Genau wie ihre Lesung keine klassische Lesung ist, kennt ihr Buch „Pick-me Girls“ auch kein eindeutiges Genre: Es wird zwar in der Kategorie „Sachbuch“ geführt, ist aber genauso ein Memoir mit einem kurzen Ausflug in die Fiktion. Ein systematisch, feministisches Kampfwerk soll es gar nicht sein, auch wenn Passmann in der Öffentlichkeit oft als scheinbare Vorzeige-Feministin bezeichnet wird. 

Was ist ein „Pick-me Girl“? 

Passmann erzählt, wie das Thema “Pick-me Girls” auf Social Media präsent wurde und sie beschloss, über ihre Identifikation mit dieser Figur zu schreiben. Zunächst war noch nicht abzusehen, wie intim das werden würde. Sie schreibt über ihre Scham beim Heranwachsen als Frau: wie sie schon seit ihrer Geburt Witze über ihr Gewicht hören musste und später eingeloggt bei tumblr eine Essstörung entwickelte. Nicht unerwähnt lässt sie ihre Schönheitseingriffe, die sie teilweise bereut, und ihr Leben in der Öffentlichkeit mit all den Shitstorms, die sich an ihr aufzogen.

Durch das Gefühl, nicht mithalten zu können, nicht schön und dünn genug zu sein, wurde sie zum “Pick-me Girl”, las Romane von Hermann Hesse und wurde Fan von Bands, damit die Jungs und später Männer sie endlich cool finden würden. Wäre Passmann nicht so spontan und lustig, wäre die Veranstaltung wohl deprimierend. So ist sie bittersüß und unterhaltsam, egal ob man das Buch gelesen hat oder nicht. 

Zu selbstbezogener Feminismus?

Die Kritik, die sie nach Veröffentlichung am meisten getroffen habe, ist, dass ihr Buch zu selbstzentriert sei. Ihre Antwort: Feminismus darf nicht zu einer selbstverständlichen Dienstleistung werden, die man Frauen abverlangen kann. Auf der Bühne gibt sie viele private Einblicke, ab und zu fällt ein „das wollte ich gar nicht erzählen“ oder sie ergänzt, was ihr erst nach dem Schreiben des Buches bewusst geworden ist. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass ihre langen Haaren genau der Frisur ähneln, die sie an den tumblr Mädchen so bewunderte. 

Am Ende der Lesung erzählt Passman von ihrer Sorge, dass ihre Shows weder richtige Comedyshows noch richtige Lesungen sind. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Sie thematisiert auch ihre eigenen Auftritte in anderen Städten und reflektiert offen über die Wirkung ihrer Person und Publikationen. Tobias Becker, der für den Spiegel ein Porträt über sie anfertigte, gab diesem den Titel „Reflexionsmaschine“, weil Passmanns Liebe zu Meta-Ebenen sich auch in ihrer Person zeigt: Sophie Passmann, die Bühnenfigur, die sie fast parodistisch inszeniert. Und so fühlt sich auch die Show stellenweise an, wenn sie in großer Geste den Wein trinkt oder erzählt, wie andere ihr Bildungsbürgerlichkeit vorwerfen. Ironisch entgegnet sie dann, dass sie doch eigentlich so Straße wirke.

Bevor sie von der Bühne tritt – und nein, kein einziges Buch signiert – liest sie dann doch noch eine Stelle aus „Pick-me Girls“ vor, die zu einer ihrer Anekdoten passt: Sie will im Team aller Frauen spielen. Und auf diesem Weg findet der Abend einen fast therapeutischen Abschluss, eben in der Erkenntnis, dass wir „Pick-me Girls doch alle ziemlich ähnliche Probleme haben, uns nur für vieles zu lange geschämt haben. Die weibliche Sozialisation lässt sich durch kein Buch und keine Lesung umkehren. Nach männlicher Aufmerksamkeit zu buhlen oder sich selbst als Objekt zu sehen, scheint sich nur schwer ändern zu lassen. Und trotzdem hat Sophie Passmann vielleicht eine Richtung gefunden, die aus der Tragik des „Pick-me Girls führt: in der Versöhnung mit sich selbst und anderen Frauen.