Die Moderatorin Sophie Passmann hat ihren dritten Roman “Pick Me Girls” veröffentlicht. Warum dieser scheitert, und wir trotzdem mehr davon brauchen, erklärt bonnFM-Autorin Judith Reuber.
Unter dem Namen der Autorin Sophie Passmann findet man in Bauchbinden diverser TV-Talkshows oder in Beschreibungen von Podcasts oft Begriffe wie Feministin oder sogar Netzfeministin. Deshalb sind die Erwartungen, wenn sie ein Buch schreibt, hoch: Die Öffentlichkeit rechnet mit dem neuen Buch im Feminismus wie zum Beispiel Untenrum frei von Margarete Stokowski. Da sind alle drei ihrer Bücher eine Enttäuschung. Das Neueste Buch Pick me Girls beschäftigt sich mit dem gleichnamigen Internettrend, in welchem Frauen erzählen, wie „pick-me“-mäßig sie mal unterwegs waren. Oft beleidigen Frauen und Männer aber auch nur andere Frauen unter dem Deckmantel dieses Trends.
Esstörungen bei Tumblr holen und Beauvoir lesen
Ein Pick Me Girl ist eine Frau oder ein Mädchen, das überzeugt ist, anders als die anderen zu sein, irgendwie besonderer und im Endeffekt mehr wie ein Mann. Bei Passmann heißt das, als Teenie viel Zeit auf tumblr zu verbringen, versuchen sich die Haare genauso zu schneiden wie das coole Mädchen dort und sich ihre Essstörung anzueignen. Sie erzählt die Geschichte, wie es war, als „pummeliges Kind“ aufzuwachsen, mit 11 Jahren das erste Mal auf Diät gesetzt zu werden und ständig Kommentaren über ihren Körper ausgesetzt zu sein. Auf ihrer Lesung in Köln sagt sie darüber, sie wurde bescheuert gemacht, bevor sie die Chance hatte, eine Frau zu werden. Für ihr Buch habe sie deprimierende Gespräche mit anderen Frauen geführt, sie alle kennen das Gefühl, dass etwas mit ihrem Körper nicht zu stimmen scheint. So schreibt Sophie Passmann auch, sie habe mit Mitte 20 festgestellt, dass sie gar nicht die einzige Frau sei, die sich bei tumblr eine Essstörung geholt habe. Durch den Pick-Me Girl Trend, wurde ihr die Origin Story genommen.
Dass der Pick-Me-Girl Trend so viral gegangen ist, deutet Sophie Passmann den Wunsch, nicht nur darüber zu sprechen, wie es ist eine Frau zu sein, sondern auch wie es ist eine zu werden. Hier schwingt deutlich Subtext Simone de Beauvoir – „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ – mit. Passmann greift diesen mittlerweile grundlegenden Gedanken auf, ohne Beauvoir wirklich inhaltlich weiter auszuführen. Für die Diskussion über das Frau-werden bauche man – neben Klasse, Religion, Gender und Hautfarbe – weitere Kategorien, die ganz individuell sein, bei ihr ist es ihr Gewicht und ihre psychische Erkrankung. Scham und Selbsthass erklärt sie zum Thema des Buches.
Pick Me Girls – Ein Buch ohne Genre
Schon in der Einleitung stellt sie fest, das Buch sei weder eine Biographie noch ein feministisches Kampfwerk. Der Verlag Kiwi bewirbt es als Memoir. Man könnte argumentieren, das Buch sei weder Fisch noch Fleisch, mit ihrer Anmerkung es sei „das Buch, das ich mit 14 Jahren gebraucht hätte“, lässt sich wenig anfangen. Die feministische Bubble auf X (ehemals Twitter) sägt das Buch und die Autorin sowieso sofort ab. Die Einleitung für Männer, die dann doch nicht nur für Männer ist, gibt etwas mehr Klarheit. Passmann erklärt, Männer könnten allgemeingültiger über die Welt schreiben als Frauen und spricht dabei die Literatur -Strömung Popliteratur an, welche sie sich mit ihrem vorherigen Roman „Komplett Gänsehaut“ genähert hat. Passmanns Anspruch ist es, ein allgemeingültiges Buch zu schreiben, das alle Frauen (und Männer) anspricht. Sie scheitert daran, woran Frauen immer scheitern: Mit zweierlei Maß gemessen zu werden, an den Erwartungen jede Frau oder weiblich gelesene Person dieser Gesellschaft mit all deren Erfahrungen abzudecken, während Literatur von Männern damit durchkommt, einen Roman über einen Mann mit Alkoholproblem zu schreiben und dies als große Kunst zu verkaufen. Der Keim des feministischen Sachbuchs wird bei Pick Me Girls schnell erstickt, es warten keine tiefgehenden Auseinandersetzungen auf die Lesenden, stattdessen stellt das Buch etwas anderes dar: Die gewöhnliche Geschichte einer Frau, mit welcher sich einige identifizieren können – einige nicht. Im Endeffekt aber eine dieser Geschichten, die wir alle erzählen können und die erzählt werden müssen.