Wie gut ist eigentlich die Lehre im Jurastudium? Sollte man vielleicht etwas ändern? Darüber haben am 24. Januar Bonner Professor_innen gemeinsam mit Studierenden diskutiert. Wir waren für Euch dabei.
Der Hörsaal D im Juridicum ist fast bis zum letzten Platz gefüllt, nur vereinzelt sind noch freie Plätze zu erkennen. Das ist zwar erst einmal nichts Besonderes, bekommt aber eine völlig andere Bedeutung, wenn es kurz nach halb acht an einem Freitagabend ist. So sitzen im Publikum, anders als sonst in diesem Hörsaal, nicht nur viele Studierende unterschiedlicher Semester. Auch zahlreiche Professor_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sind gekommen.
Eingeladen hat Philipp Reuß, seit Oktober 2019 Professor für Bürgerliches Recht an der Uni Bonn. Bei einem „Kaminabend“ will er über „gute Lehre und erfolgreiches Lernen“ im Jurastudium diskutieren. Dazu hat er sich ein breites Podium eingeladen: Nach einem Impulsvortrag des Bonner Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing diskutiert Reuß mit dem amtierenden Studiendekan Martin Böse, seinem designierten Nachfolger Moritz Brinkmann und einem Gast aus Bayern: Stephan Lorenz von der LMU München. Lorenz hat einen Namen in der Juristenszene, ist Autor mehrerer erfolgreicher Lehrbücher und seit 2018 Träger des Bundesverdienstkreuzes. Außerdem ist er so etwas wie der akademische Mentor des Gastgebers Philipp Reuß, der lange Zeit Mitarbeiter an Lorenz‘ Lehrstuhl war. Die Studierendenschaft wird auf dem Podium vertreten durch Tobias Cremper (5. Fachsemester), Joshua Kohler (6. Fachsemester) und Katja Weigang (8. Fachsemester).
Ein allgemeiner Impulsvortrag
Die beim Titel „Kaminabend“ zu erwartende gemütliche Atmosphäre will im hellen und funktional wirkenden Hörsaal D allerdings nicht so recht aufkommen. Auch nicht durch die Kaminfeuer-DVD, die vorne auf die Leinwand geworfen wird. Dass das digitale Kaminfeuer erst wegen des hellen Deckenlichts kaum zu sehen ist und später einfach ganz ausgeschaltet wird, stört dann auch nicht mehr wirklich.
Gregor Thüsing jedenfalls beginnt unbeirrt mit seinem Impulsvortrag, der zunächst von recht allgemeinen Thesen geprägt ist: Dozierende dürften in Vorlesungen nicht nur referieren, sondern müssten durch Rückfragen auch die Studierenden einbeziehen. Es sei wichtiger, die Grundlagen des Handwerks zu vermitteln anstatt detaillierter Einzelprobleme. Das ist zwar alles richtig, aber auch alles schon oft gesagt und gehört worden. So bleibt der überraschendste Ansatz von Thüsing wohl die Tatsache, dass er seine Studierenden Namensschilder aufstellen lässt, um sie in der Vorlesung persönlich ansprechen zu können – gerade in einem Massenstudiengang wie Jura mit teils mehreren hundert Studierenden pro Vorlesung eher unüblich.
Podcasts nur als Ergänzung
Im Anschluss erläutern die Podiumsvertreter_innen ihr Verständnis von guter Lehre. Martin Böse legt Wert auf das Miteinander von Lehrenden und Lernenden, Moritz Brinkmann will Studierenden das Denken beibringen und Stephan Lorenz setzt auf Begeisterung: „Es ist wichtig, dass man möglichst schnell den Leuten das Gefühl gibt: „Das ist geil, was wir hier machen“. Die drei Studierenden äußern sich ähnlich: Auch ihnen ist der Kontakt zwischen Dozierenden und Studierenden wichtig, ebenso wie das eigenständige aktive Nachdenken während der Vorlesung.
Welche Rolle die Nutzung digitaler Medien für gute Lehre spiele, will Reuß wissen, zum Beispiel in Form von Podcasts oder Videos? Lorenz und Brinkmann, die beide ihre Vorlesungen als Podcasts zum Nachhören anbieten, äußern sich eher zurückhaltend: Die Podcasts seien ein Mittel zur Ergänzung und zur Wiederholung des Stoffs. Sobald sich aber alle nur noch die Podcasts anhören und niemand mehr in ihre Vorlesungen käme, würden sie mit den Podcasts auch wieder aufhören, sind sich beide einig. Zustimmung von Seiten der Studierenden: Ein Podcast könne keine vollwertige Vorlesung ersetzen, vor allem fehle das Interaktive.
„Zum Studieren gehört das Lesen“
Gleichwohl berichten alle drei Studierenden, dass sie gerne mit digitalen Karteikarten und ähnlichen Programmen am Computer lernen. Eine Praxis, die Stephan Lorenz kritisch sieht: Er plädiert für das „klassische Lernen“ mit Lehrbuch und von Hand geschriebenen Karteikarten, ganz analog und ohne irgendwelche digitalen Hilfsmittel. „Zum Studieren gehört das Lesen“, so Lorenz. Außerdem empfiehlt er das Lernen in Lerngruppen mit zwei bis drei Leuten. Anderen E-Learning Angeboten, wie es sie als App oder Online-Plattform inzwischen zahlreich auf dem Markt gibt, erteilt das Podium geschlossen eine Absage – inklusive der Studierenden.
Bewegung kommt in die Debatte, als sich aus dem Publikum Johannes Köndgen zu Wort meldet. Köndgen, seit 1995 Professor in Bonn, liefert den wohl kritischsten Beitrag an diesem Abend. Jedenfalls ist er die erste Person aus dem Publikum, die der auf dem Podium vorherrschenden Einigkeit entschieden entgegentritt. Ausführlich kritisiert er das momentane Prüfungsverfahren und insbesondere die mündliche Prüfung im juristischen Staatsexamen. Schließlich moniert er sogar das Festhalten am berühmt-berüchtigten Gutachtenstil, der in den meisten juristischen Klausuren verlangt wird und vielen Jurist_innen fast schon als heilig gilt. Das Podium reagiert gemischt: Martin Böse konstatiert, dass bei den Justizprüfungsämtern bereits ein Wandel stattfinde. Gleichwohl räumt er ein, dass die Prüfungspraxis „noch weit weg von perfekt“ sei und sieht auch die Professor_innen in der Pflicht, an Verbesserungen mitzuwirken. Ähnlich äußert sich Stephan Lorenz, der Köndgen beim Thema mündliche Prüfung weitestgehend zustimmt, den Gutachtenstil aber klar verteidigt.
Uni vs. Rep
In der Folge melden sich mehrere Studierende aus dem Publikum zu Wort. Viele hätten das Gefühl, dass sie Jura erst „im Rep“, also während der Examensvorbereitung, wirklich verstünden. Wieso man also nicht schon im Studium Verbindungen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Rechtsgebieten herstelle, will jemand wissen. Moritz Brinkmann räumt ein, dass das früher anders war und heute, nach Änderungen am Studienaufbau, etwas fehle. Das Gefühl von spätem Verständnis will er jedoch nicht den kommerziellen Repetitorien zugestehen: Es dauere einfach seine Zeit, bis im Jurastudium der „Aha-Moment“ komme. Dass dies oft während der Examensvorbereitung im kommerziellen Repetitorium sei, halte er für Zufall.
Zum Ende des Abends kritisiert eine weitere Person aus dem Publikum, dass zwar immer viel von Grundlagenvermittlung gesprochen werde, auch heute auf dem Podium, eben dies in vielen Vorlesungen aber nicht stattfinde. Ähnlich hatten sich zuvor bereits die Studierenden auf dem Podium geäußert, die sich über ein Auseinanderfallen der Realität in den Klausuren und den vorgeblichen Zielen der Lehre beklagt hatten.
Fazit: Ein zaghaftes „Weiter so“
Leider wird auf diesen Punkt nicht mehr eingegangen. Stattdessen beendet Gastgeber Philipp Reuß die Diskussion mit dem Hinweis, dass der eigentlich veranschlagte Zeitrahmen schon lange überschritten sei. So endet der Diskussionsabend etwas abrupt und ohne ein wirkliches Fazit. Müsste man selbst eins ziehen, so wäre es wohl dieses: Die Haltung der Professor_innen zu guter Lehre scheint ein zaghaftes „Weiter so“ zu sein. Trotz einzelner Bemühungen mit Podcasts, Videos und ähnlichem wollen die Dozierenden weiterhin an den klassischen Lehr- und Lernmethoden festhalten, stehen E-Learning Angeboten überwiegend ablehnend gegenüber.
Alles gut also im Jurastudium? Daran darf gezweifelt werden. Laut einer Studie der Universität Konstanz aus dem Jahr 2016 empfinden 90 % aller Jurastudierenden in ihrem Studium hohe Leistungsansprüche, mehr als drei Viertel von ihnen fühlen sich dadurch stark belastet. Nicht einmal 15 % aller Studierenden haben das Gefühl, eine gute Beziehung zu ihren Lehrenden zu haben. Insgesamt bewertet nur etwas mehr als die Hälfte aller Jurastudierenden die Studienqualität als gut, womit Jura deutlich schlechter abschneidet als alle anderen Studienfächer.
Dennoch: Es ist gut, dass Professor_innen über gute Lehre im Jurastudium reden. Es ist bezeichnend, dass mit Philipp Reuß erst ein neuer Professor an die Bonner Fakultät kommen muss, um eine solche Diskussion anzustoßen. Und es bleibt zu hoffen, dass Reuß genau das in Zukunft noch öfter macht – dann steht am Ende vielleicht irgendwann einmal mehr als nur ein „Weiter so“.
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Moderation bonnFM bissfest, queer um vier
Herzlichen Dank für den Bericht Liest sich flüssig und die kritische Revue ist angebracht.