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Zwischen Fiktion und Realität

Lesezeit: 5 Minuten

Der Mai hat unsere bonnFM-Kolumnistin in andere Universen eintauchen lassen: Der Kinofilm Everything Everywhere All at Once ist ein buntes und schrilles Science-Fiction-Abenteuer, in dem alles auf den Kopf stellt wird. In Sachen Serien ging es dafür deutlich realistischer zu: Die neue Staffel der YouTube-Serie DRUCK ist gestartet und erzählt in Echtzeit von typischen Problemen junger Erwachsener.

Everything Everywhere All at Once

Stellt euch vor, es gibt tausende verschiedene Versionen eurer Selbst, die in tausenden Universen leben. Plötzlich liegt das Schicksal des gesamten Multiversums in euren Händen, denn eine dunkle Bedrohung könnte alles zerstören.

In diesem Szenario findet sich auf einmal die Waschsalonbesitzerin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) im Film Everything Everywhere All at Once (Regie: Dan Kwan & Daniel Scheinert) wieder.

Evelyns Leben scheint ein wenig trist zu sein: Vor einigen Jahren kam sie mit ihrem Mann Waymond (Jonathan Ke Quan) voller Hoffnung auf ein gutes Leben in die USA. Mittlerweile betreiben die beiden einen Waschsalon. Waymond möchte die Scheidung und Evelyn findet zu ihrer Tochter Joy (Stephanie Hsu) keinen Draht. Noch dazu kann sie die Erwartungen ihres Vaters (James Hong) nicht erfüllen.

Eines Tages bekommt sie jedoch einen Besuch, der ihre Welt völlig auf den Kopf stellt: Es ist eine andere Version ihres Mannes aus einem anderen Universum. Dieser sogenannte Alpha-Waymond katapultiert Evelyn in andere Universen, in denen es ebenfalls andere Versionen von ihr gibt. Es stellt sich heraus, dass Evelyn dazu bestimmt ist, das Multiversum vor einer dunklen Bedrohung zu retten.

Am Puls der Zeit?

Everything Everywhere All at Once ist ein völlig verrückter Film, der gleichzeitig tiefgreifende Themen anspricht: In erster Linie geht es um einen familiären Generationen-Konflikt, in dessen Mittelpunkt Evelyn steht.

Auf der einen Seite ist der Konflikt zwischen ihr und ihrem Vater. Sie hat ständig das Gefühl, nicht zu genügen und seine Erwartungen nicht erfüllen zu können. Eine ähnliche Differenz gibt es gleichzeitig zu ihrer Tochter Joy, die lesbisch ist und ihre Freundin Becky (Tallie Medel) in die Familie integrieren möchte. Evelyn kann die Sexualität ihrer Tochter jedoch nicht akzeptieren und lässt sie das auch regelmäßig spüren.

Egal in welcher Form auch immer, aber Familienkonflikte kennen wir doch alle. Und aus genau diesem Grund schafft der Film es auch, eine nachvollziehbare Bindung zu den Zuschauenden aufzubauen.

Bei einem Film über ein Multiversum bietet sich ein Themenkomplex natürlich ganz besonders an: Die klassische “Was wäre wenn…?”-Frage und die damit verbundene Thematik unerfüllter Lebensträume. Everything Everywhere All at Once spielt mit dem Gedanken, wie Evelyns Leben verlaufen wäre, wenn sie sich in einigen entscheidenden Situationen ihres Lebens anders entschieden hätte.

Aus diesen potenziellen Entscheidungsmöglichkeiten entstehen die verschiedenen Universen mit den verschiedenen Versionen Evelyns. Es gibt zum Beispiel Universen, in denen sie eine berühmte Mixed-Martial-Arts-Künstlerin, Köchin oder Sängerin geworden ist.

Ich glaube, die Frage “Wie wäre mein Leben jetzt, wenn ich mich damals anders entschieden hätte”, beschäftigt uns alle an einem Punkt in unserem Leben. Mir geht es auf jeden Fall so und umso spannender finde ich es, wenn Filme diesen Gedanken aufgreifen und künstlerisch aufarbeiten.

Verschwendetes Potenzial?

Everything Everywhere All at Once hat trotz der “Was wäre wenn …?”-Frage, kombiniert mit der Idee eines Multiversums, meiner Meinung nach ein wenig seines Potenzials verschwendet.

Es stellt sich heraus, dass der Film eigentlich eine einzige große Kampfszene gegen die dunkle Bedrohung ist. An einigen Stellen macht es zwar großen Spaß, dem zuzuschauen, zum Beispiel, wenn Gegner:innen eindrucksvoll nur mit einer Fanny Pack besiegt werden. Aber leider führt diese riesige Kampfszene dazu, dass das Potenzial des Multiversums nicht richtig ausgeschöpft wird.

Durch “Verse-Sprünge” kann sich Evelyn in andere Versionen ihrer Selbst versetzen und deren Fähigkeiten erlernen, die sie dann direkt im Kampf einsetzt. Die Idee, neue Fähigkeiten durch den Besuch eines anderen Universums zu erlernen, finde ich sehr spannend. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Film sich mehr Zeit für die einzelnen Universen nimmt. Gerne hätte ich die anderen Evelyns, ihre Fähigkeiten und ihre verschiedenen Leben näher kennengelernt.

Der Film hat ein sehr hohes Tempo und konzentriert sich in erster Linie auf den Kampf gegen die dunkle Bedrohung, wodurch wir als Zuschauende die anderen Universen nur in einem kleinen Bruchteil kennenlernen. Aber gerade dort hätte ich das Potenzial des Films gesehen. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass der Film als Serie oder Filmreihe mehr seines Potenzials hätte ausschöpfen können.

Lohnt es sich “alles überall gleichzeitig” zu sein?

Ich bin schon mit einer gewissen Erwartungshaltung in den Film gegangen. Im Vorfeld wurde der Film von vielen Seiten gelobt. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass Everything Everywhere All at Once mehr auf die verschiedenen Versionen und Universen von Evelyn eingeht. Damit hat mir ganz klar etwas gefehlt und ich kann den Hype nicht wirklich nachvollziehen.

Dennoch hat der Film auch starke Momente und ist so abgedreht, dass er beim Zusehen wirklich Spaß macht. Mich hat die Handlung nicht zu hundert Prozent überzeugt und manche Stellen waren mir persönlich auch zu abgedreht. Trotzdem lohnt es sich allein für eine verrückte und bunte Achterbahnfahrt durch die Universen der Protagonistin den Film zu sehen.

DRUCK

Druck, der [Substantiv, maskulin; gewaltsame, zwanghafte, jemanden bedrängende Einwirkung von außen].

So beschreibt der Duden psychischen Druck. Es gibt viele Formen davon: Leistungsdruck, moralischer Druck oder auch Druck, den man durch die Gesellschaft erfahren kann. Druck ist etwas, was uns allen schon in ganz unterschiedlichen Situationen und aus verschiedenen Gründen begegnet ist. Und genau davon handelt meine ganz persönliche Serienempfehlung für den Monat Mai.

DRUCK ist eine YouTube-Serie, die vom Leben und den Problemen junger Erwachsener handelt. Es geht um Freundschaft, Liebe, Leistungsdruck, Zukunftsängste oder das Finden zu sich selbst. Jede Staffel hat andere Protagonist:innen und behandelt damit jeweils ein anderes übergeordnetes Thema.

In der aktuellen Staffel geht es um Mailin (Frida Stittrich), die gerade mitten im Abistress steckt. Mailin gehört zur Generation Z, engagiert sich für eine bessere Zukunft und weiß ganz genau, was sie später einmal mit ihrem Leben machen will. Nach außen ist sie stark und selbstbestimmt. Wenn es aber um die erste Liebe geht und darum, zu sich selbst zu finden, steht sich Mailin manchmal selbst im Weg.

Mehr als eine deutsche Highschool-Serie

DRUCK ist keine gewöhnliche Coming-of-Age-Serie, die wir uns abends angucken und dann ist gut. Nein, DRUCK ist allein wegen des Storytellings etwas Besonderes. Die Serie nimmt uns als Zuschauende in Echtzeit mit, wenn etwas im Leben der Protagonist:innen passiert.

Wenn Mailin sich zum Beispiel Donnerstag um kurz vor 17:53 Uhr mit einer Freundin trifft, dann sind wir an diesem Tag um 17:53 Uhr auf YouTube mit dabei. Wir sind auch mit dabei, wenn Mailin zusammen mit ihren Freunden kurz nach 13 Uhr ihre erste Abiprüfung hinter sich hat.

Authentische Figuren

Wir begleiten Mailin also täglich mit kurzen Clips durch ihre ganze Woche. Am Ende der Woche ergeben die Clips dann eine ganze Folge.

Daneben haben alle Figuren aus DRUCK eigene Instagram-Accounts. Über Stories oder Feed-Posts bekommen wir Insights aus ihren Leben und können ihre WhatsApp-Nachrichten lesen, als wären wir selbst Teil des Gruppen-Chats.

Mit dieser Art des interaktiven Storytellings vermittelt die Serie das Gefühl, als würden wir die Figuren aus dem echten Leben kennen. DRUCK ist damit viel näher an uns Zuschauenden als jede andere Serie.

Meiner Meinung nach schafft es DRUCK so, dass die Figuren viel authentischer wirken und näher an der eigenen Lebensrealität sind, als es sonst in Filmen oder Serien der Fall ist.

Es fühlt sich real an

Mit der besonderen Art, die Serie zu erzählen, nämlich indem wir Zuschauende durch alle Kanäle angesprochen werden, die wir auch in unserem Alltag nutzen, ist DRUCK ganz nah an uns und unserer eigenen Realität. Es fühlt sich vielmehr danach an, als würden wir die Figuren aus DRUCK tatsächlich kennen, weil wir sie in Echtzeit durch ihren Alltag begleiten.

DRUCK gelingt es, sich ernsthaft mit den Problemen junger Erwachsener auseinanderzusetzen und nimmt uns Zuschauende dabei direkt mit in das Geschehen.

Zwischen Realität und Fiktion

Meine filmische Auswahl für den Monat Mai könnte nicht unterschiedlicher sein. Im Kino habe ich mich mit Everything Everywhere All at Once für einen Abend in die völlig verrückte Welt eines Multiversums ziehen lassen und war für knapp zwei Stunden auf unterhaltsame Weise aus meinem Alltag und meiner Realität gerissen.

Demgegenüber hat mich fast täglich in kurzen Ausschnitten die Serie DRUCK begleitet – oder habe ich eigentlich die Serie begleitet? Natürlich ist DRUCK auch nur eine fiktionale Geschichte und spielt nicht wirklich in meiner Realität. Dennoch schafft es das Storytelling, mir ein realitätsnahes Gefühl zu vermitteln und behandelt gleichzeitig Themen, die mir manchmal aus meinem eigenen Leben bekannt vorkommen.