“YouTube wird es 2019 wahrscheinlich nicht mehr geben!” “Artikel 13 ist absoluter Schwachsinn!” “Axel Voss hat das Internet kaputt gemacht!” Diese und ähnliche Sätze waren im Frühjahr 2019 in Bezug auf Artikel 13 und die neue Urheberrechtsreform der EU häufiger zu hören. Doch worum geht es darin tatsächlich?
Die europäische Urheberrechtsreform rund um den umstrittenen Artikel 13 wurde am 26. März 2019 vom EU-Parlament beschlossen – trotz heftiger Proteste im Vorfeld. Nachdem die emotionale Debatte nun abgeflacht ist, greifen wir das Thema noch einmal auf und schauen auf die Hintergründe. Dazu haben wir mit YouTubern, einem Medienrechtsanwalt, dem Chaos Computer Club und dem EU-Abgeordneten Axel Voss gesprochen. Er betont, warum man die neue Richtlinie braucht:
“Wir müssen nun einmal das Urheberrecht, was ein Rechtsgrundsatz ist und was letztlich ein Grundrecht ist, nämlich der Schutz des geistigen Eigentums, versuchen in die digitale Welt zu übertragen und es dort auch durchzusetzen.”
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Was sich konkret ändert
Dieser Schutz betrifft zum Beispiel Filme, die in voller Länge auf YouTube hochgeladen werden und so das Recht verletzen. Bisher lag die Haftung vor allem bei den Nutzern. Die Plattformen selbst hafteten erst nachrangig. Durch Artikel 13 wird sich dies nun ändern, erklärt uns Rechtsanwalt Christian Solmecke:
“Bei der geplanten Urheberrechtsreform geht es darum, dass künftig die großen Internetplattformen wie zum Beispiel YouTube oder Twitter und Facebook schon dann in die Haftung kommen sollen, wenn überhaupt nur illegale Inhalte dort hochgeladen werden. Bislang ist es so, dass eine Haftung erst dann eintritt, wenn nach Kenntnis von illegalen Inhalten diese nicht entfernt werden.”
Christian Solmecke, Rechtsanwalt
Es geht also darum Plattformen für Urheberrechtsverletzungen finanziell in die Verantwortung zu nehmen. Kritiker befürchten aber, dass die Unternehmen zur Umsetzung der Reform auf sogenannte Uploadfilter zurückgreifen werden. Wie das die Urheber betreffen könnte, hat uns der YouTuber Mirko Drotschmann vom Kanal MrWissen2go beantwortet:
“Ich würde sagen, im besten Fall gar nicht. Im schlechtesten Fall würde es mich einschränken, in der Hinsicht, dass ich immer befürchten müsste, dass Inhalte von mir gesperrt werden, auch wenn sie gar kein urheberrechtlich geschütztes Material beinhalten, für das ich die Rechte nicht eingeholt habe. Einfach weil die Plattformen da in vorauseilendem Gehorsam unterwegs sind.”
Mirko Drotschmann, Youtuber
Für YouTuber wie Mirko könnte also eine wichtige Einnahmequelle gefährdet sein. Doch wer ist von dem Gesetz eigentlich betroffen? Und ist die Richtlinie überhaupt umsetzbar? Fragen, die wir klären wollen.
Was dagegen spricht
Die Urheberrechtsreform der EU rund um Artikel 13 ist nach wie vor hoch umstritten, auch nach ihrer Verabschiedung. Doch was genau sind eigentlich die Argumente der Kritiker? Ein sehr präsentes Argument in der öffentlichen Debatte ist die Angst davor, dass Uploadfilter nicht immer korrekt erkennen, welche Uploads urheberrechtlich geschützt sind und welche nicht. Das wird auch als Overblocking bezeichnet. Eva Schulz ist Journalistin und Betreiberin des YouTube Channels Deutschland 3000. Sie erklärt uns, was das für sie konkret bedeuten könnte:
“Also was mir passieren könnte ist, dass eins meiner Videos gefiltert wird, weil ich zum Beispiel eine Rede oder ein Interview mit einem Politiker verwende, das ich aber zitiere, das also unters Zitatrecht fällt und genau das könnte so eine Software halt auch mal missverstehen und dann könnte im Fall von Deutschland 3000, wenn ich mal so ein top aktuelles Video produziere, dass dann einfach tagelang gesperrt sein und das wäre natürlich mega nervig.”
Eva Schulz, Youtuberin und Journalistin
Das Problem mit Uploadfiltern
Die Anfälligkeit solcher Erkennungssoftware zeigte sich im April 2019 beim Brand von Notre Dame. Auf YouTube wurde ein Video von der brennenden Kirche automatisch als Fake News gesperrt. Es wird vermutet, dass die Szenen auf den Filter wie eine Fälschung des Anschlags vom 11. September wirkten. Damit solche Fehler seltener auftreten, müssen die Filter sehr aufwendig und kostenintensiv entwickelt werden. Doch daraus entsteht ein neues Problem, sagt Joachim Selzer vom Chaos Computer Club:
“Das Problem an der Sache ist, dass die Uploadfilter technisch so komplex sind, dass sie eigentlich nur von wenigen Unternehmen geschrieben werden können. D.h. wenn ich eine Plattform habe, muss ich sehr wahrscheinlich Google, Facebook oder Amazon fragen müssen, ob die für mich den Uploadfilter betreiben. Und das heißt, dass sich viele kleine Plattformen in Abhängigkeit von Google, Facebook oder Amazon begeben werden. Also mit anderen Worten: die ohnehin schon großen Konzerne, die man eigentlich mit dieser Richtlinie an die Kette nehmen wollten, befürchten wir, werden noch größer.”
Joachim Selzer, Chaos Computer Club
Auch der Kölner Medienrechtsanwalt Solmecke stimmt Selzer zu:
„Und das würde das Aus für viele kleine Plattformen bedeuten. Selbst wenn die sich diese Filter nicht programmieren lassen müssen, könnten die allerdings schon an den hohen Mietgebühren dafür ersticken.”
Christian Solmecke, Rechtsanwalt
Kritik an der Urheberrechtsreform kommt also von vielen Seiten: von Internetexperten und Juristen, aber auch von den Urhebern selbst.
Was dafür spricht
Vor und nach der Abstimmung hat die Urheberrechtsreform um Artikel 13 vor allem viel Kritik erhalten. Doch auch Gegner der Richtlinie räumen ein, dass es für den Schutz des Urheberrechts im Internet kaum umsetzbare Alternativen zu der letztlich beschlossenen Regelung gibt:
“Also die Alternative wäre ja, das wurde auch diskutiert, dass die großen Plattformen Lizenzvereinbarungen schließen mit allen Leuten, die Sachen uploaden. Aber sie können jetzt nicht mit jedem einzelnen von uns, die wir irgendwann mal was hochladen und posten auf Facebook und Instagram Lizenzvereinbarungen schließen.”
Eva Schulz, Youtuberin und Journalistin
Grundsätzlich besteht ein breiter Konsens darüber, dass es ein reformiertes Urheberrecht für das Internet geben müsse. Ein zentraler Streitpunkt in der Diskussion sind dabei Uploadfilter. Auch einige Befürworter sehen Uploadfilter durchaus kritisch:
“Ja, wir wollen keine Uploadfilter. Wir haben technische Maßnahmen nicht ausgeschlossen, weil die notwendig werden, wenn man eine große Plattform mit einem solchen Uploadvolumen hat. Dann wird es nicht mehr anders gehen. “
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Kompromisse, Kompromisse, Kompromisse
Axel Voss ist seit vielen Jahren Abgeordneter im EU-Parlament. Als offizieller Berichterstatter hat er dort die Ausarbeitung der Richtlinie koordiniert. Er ist aber nicht allein verantwortlich für deren Inhalt. Der ist nämlich das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten:
“Da entsteht auch immer das Bild, das alles, was dort drin steht nur das ist, was ich auch will, dabei stehen dort Kompromisse von Kompromissen von Kompromisse”
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Nicht einbezogen wurden dabei laut den Kritikern die Bürgerinnen und Bürger, die teils massiv gegen die Reform protestiert haben. Als die Richtlinie dennoch verabschiedet wurde, hatten viele Menschen das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Axel Voss kann das nicht nachvollziehen. Die Demonstrationen hätten seine Arbeit durchaus beeinflusst:
“Es hatte massiven Einfluss. Der Text des Rechtsausschusses, den ich damals schon als ausgewogen hielt, wurde nochmal verändert im Hinblick auf diese ganzen Äußerungen, auch in Hinblick auf die Petition, die damals erst 1,7 Millionen Unterschriften hatte.”
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Lobbyarbeit von beiden Seiten
Dass diese Änderungen in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurden, liegt laut Voss auch an der Lobbyarbeit der großen Internetkonzerne. Damit hätten sie nicht nur die einzelnen User, sondern auch YouTuber beeinflusst. Ähnlich sieht das auch Mirko Drotschmann, besser bekannt als MrWissen2Go:
“Ich gebe Axel Voss in vielen Punkten nicht recht. In diesem einen würde ich ihm teilweise doch recht geben. Es ist tatsächlich so, dass große Internetunternehmen, allen voran Google massiv Lobbyarbeit betrieben haben. Auf der anderen Seite aber natürlich die Verlage für die Urheberrechtslinie Lobbyarbeit betrieben haben. Das muss man auch mal sagen. Und auch Zeitungen zum Beispiel, die von Verlagen veröffentlicht werden. Aber Google hat zum Beispiel ne große Kampagne gestartet. Auf den eigenen Seiten zum Beispiel bei YouTube, mit Videos und anderem und hat versucht die Leute zu überzeugen, das alles ganz schrecklich wäre.”
Mirko Drotschmann, Youtuber
Dass es wirklich so schlimm wird, wie viele es befürchten, glaubt Axel Voss nicht. Selbst dann nicht, wenn es zum Einsatz von Uploadfiltern kommt.
Unser Fazit
Ob die Richtlinie nun die überfällige Übertragung des Urheberrecht in die digitale Welt bringt oder mit Artikel 13 das Internet zerstört wird, muss nun jeder selbst bewerten. Befürworter und Gegner sind sich einig, dass die Debatte darüber teilweise sehr emotional geführt wurde. Mehr als einmal haben Vertreter verschiedener Positionen dabei die sachliche Ebene verlassen. Besonders Axel Voss hat dies am eigenen Leib zu spüren bekommen:
“Man hat in dieser emotionalen Situation überhaupt keine Chance eine sachliche Debatte zu führen. Was ich am Ende in den sozialen Netzwerken aufgegeben habe, weil man sich nicht mit dem Problem auseinandergesetzt hat, sondern nur auf meine Person konzentriert hat.”
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Andererseits haben aber auch Parteikollegen von Voss mit unsachlichen Bemerkungen auf sich aufmerksam gemacht. So behauptete beispielsweise der EU-Parlamentarier Daniel Caspari, die Demonstrierenden seien von großen US-Konzernen bezahlt worden. Wie sich die nationale Umsetzung letztendlich auch in Deutschland ausgestalten wird, ist bisher noch unklar. Axel Voss zumindest ist eher optimistisch:
“Die sind der Überzeugung, dass wird das Internet zerstören würden. Das wird nicht so kommen und das werden die in zwei Jahren, wenn es zur Umsetzung kommt, feststellen.”
Axel Voss, EU-Abgeordneter
Abwarten und Tee trinken
Es bleibt also abzuwarten, wie stark die Urheberrechtsreform die einzelnen Nutzer letztendlich wirklich beeinträchtigen wird. Eines aber ist schon jetzt klar: die Debatte rund um Artikel 13 hat das politische Klima in der Europäischen Union nachhaltig verändert.
Plötzlich gab es ein Thema, zu dem viele junge Menschen eine Meinung hatten und diese auch geäußert haben. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen hat die Debatte rund um Artikel 13 das Interesse an Politik gestärkt – und wohl auch die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2019 positiv beeinflusst hat.
Für Wissbegierige
Wer sich noch weiter informieren möchte, kann das zum Beispiel auf den YouTube-Kanälen einiger unerer Interviewpartner tun:
Christian Solmecke: https://www.youtube.com/user/KanzleiWBS
Christian Solmecke ist Rechstanwalt in der Kölner Medienrechtskanzlei „Wilde Beuger Solmecke“ und informiert auf seinem YouTube-Kanal über rechtliche Fragestellungen und aktuelle juristische Sachverhalte.
MrWissen2go: https://www.youtube.com/user/MrWissen2go
Mirko Drotschmann gründete den Bildungskanal „MrWissen2go“ und ist inzwischen Teil des Funk-Netzwerks. Dort beschäftigt er sich mit geschichtlichen, aktuellen und allgemeinpolitischen Themen.
Deutschland3000: https://www.youtube.com/channel/UCmiQ_T2HNcsP1k1ydNZ-JKA
Eva Schulz setzt sich auf dem Kanal „Deutschland3000“ mit aktuellen politischen Themen und Debatten auseinander. Auch sie gehört zum öffentlich-rechtlichen Netzwerk funk.
Axel Voss ist Abgeordneter der CDU im EU-Parlament. Als Berichterstatter für die neue Urheberrechtsreform stand er häufig im Zentrum der Debatte rund um die neue Richtlinie. Sein Büro sitzt in Bonn.
Der Chaos Computer Club ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO). Der Club beschäftigt sich hauptsächlich mit Computersicherheit und Informationsfreieheit.
Ein Beitrag von Christoph Liedel, Ann-Christin Bäumker, Matthias Fromm und Lena Kohlwes,