Es ist der 2. November 2021 in Mexiko, Día de los muertos (dt. Tag der Toten). Er selbst beschreibt diesen Tag als einen Tag mit wechselhaften Gefühlen. Drei Koffer und ein Rucksack. Mehr als das und viele Wünsche für sein neues Leben in Bonn hat er nicht dabei, als er in Guadalajara, Mexiko, mit einem One-Way-Ticket in der Hand ins Flugzeug steigt. Und da gab es ja noch einen Menschen, für den er unter anderem diesen Schritt gegangen ist.
„Bevor ich auf zum Flughafen bin hatte ich ein paar sehr schöne Momente mit meiner Mutter, meiner Schwester und meinen Großeltern, die mir ihren Segen für mein ganzes Leben gaben“, denkt er an diesen Tag zurück, der seinem Leben eine 180 Gradwendung gegeben hat.
Adrián ist 31 Jahre alt, glücklich mit seinem Ehemann verheiratet und studiert Lehramt für Spanisch und Englisch an der Universität Bonn. Das sein Ehemann und dessen Familie Lehramt studiert haben, hat Adrián für diesen Beruf inspiriert.
Wenn der Tag der Toten zum Neuanfang wird
„Am Tag meiner Abreise dachte ich wie verrückt darüber nach, ob ich wirklich alles Notwendige dabei hatte. Und ich dachte an den neuen Lebensabschnitt mit dem Mann, den ich liebe, während ich mich von meiner Familie verabschiedete“, schwelgt er in Erinnerungen. Als das Taxi kam, drehte er ein Video von sich selbst, wie er sich von Zuhause verabschiedete. „So ist das, wenn man von Beruf eigentlich ein romantischer Fotograf ist“, erzählt er mir. Der Día de los Muertos (dt. Tag der Toten) sei einer seiner liebsten Traditionen in Mexiko. Es ist ein Feiertag, an dem man Verstorbenen gedenkt und sich ihnen nahe fühlt. „Ich habe es als ein Zeichen gesehen, dass ich an diesem besonderen Tag den Schritt nach Deutschland gegangen bin.“ Kurz vor Weihnachten im Jahr 2021 heiratete er seinen Mann – eines der schönsten Geschenke, die man ihm je machen konnte, wie er selbst sagt. „Heute leben mein Mann und ich die Tradition vom Día de los Muertos auch in Deutschland: Wir dekorieren einen kleinen Altar an diesem Tag, so wie ich es in Mexiko immer gemacht habe, um Familienmitgliedern und Haustieren zu gedenken, die leider von uns gegangen sind.“
Bürokratie, Abschiede und Zeit
Der Weg bis hier hin war nicht nur einfach: „Ganze neun Monate vergingen von der Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, bis ich schließlich hier war“, fasst er zusammen. Es war ein langer Prozess, um ein Visum für eine deutsch-mexikanische Ehe zu erhalten. Immer wieder musste er zwischen Guadalajara und Ciudad de México hin und herreisen. Gleichzeitig lernte er vor seiner Auswanderung Deutsch. Das Schwerste, so Adrián, sei der Abschied von Freund*innen und Familie. „Während dieser Phase habe ich so viel Zeit wie möglich mit allen verbraucht. Gleichzeitig habe ich immer wieder versucht, mir klar zu werden, dass ich von Null in einem fremden Land anfangen werde.“
Ebenso wie das Ausreisen aus Mexiko, sei auch der Start in Deutschland von viel Bürokratie geprägt gewesen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits das B2 Niveau im Deutschen. Dennoch war er dankbar für die Unterstützung von seinen deutschsprachigen Kontakten. „Mein Ehemann und seine Familie waren sehr wichtig für mich, um das erste Jahr zu meistern“, meint Adrián. „Ich bewundere alle Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben und die nicht auf so ein Netzwerk mit Unterstützung bauen können.“
Guacamole und Käsebrote
Adrián hat sich auch andere Lebensweisen gewöhnt. „Mir ist es anfangs schwer gefallen, dass man hier meistens nur einmal täglich eine warme Mahlzeit isst“, erklärt er. „Den halben Tag nur ein Käsebrot mit Gurkenscheiben zu essen, ist für mich undenkbar.“, sagt er und lacht. „Ich habe das mexikanische Essen und die drei großen Mahlzeiten vermisst. Manchmal bereite ich hier aber Guacamole zu und dann ist es, als wäre ich für einen kurzen Moment in Mexiko.“ Auch die klimatischen Veränderungen waren anfangs ungewohnt. „In Mexiko schließt man Schulen und Universitäten wenn es im Winter weniger als 10 Grad sind“, berichtet er. „Jetzt sage ich: Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung.”
Und manchmal diese Blicke…
Ich frage Adrián danach, ob er Rassismus erfahren hat. Er habe zum Glück nur selten rassistische Situationen erlebt. Dennoch – die Momente, in denen er es zu spüren bekommen hat, bleiben in Erinnerung mit einem bitteren Nachgeschmack. „Komische Blicke in öffentlichen Verkehrsmitteln sind ein Beispiel“, berichtet er. „Manchmal passiert es, dass Menschen sich in Bussen nicht neben mich setzen wollen, obwohl es der einzig freie Platz ist.“ Auch sprachliche Diskriminierung hat Adrián erfahren. Er hat das C1 Niveau. „Manche Leute denken direkt, dass mein Deutsch nicht ausreichend ist, wenn es um bürokratische Themen geht. Einige schauen mich überrascht an, wenn ich ein Problem auf Deutsch ohne Hilfe lösen kann.“ Solche Momente tun weh, findet Adrián. „Hier zu leben, hat viele Vorteile wie beispielsweise die ökonomische Stabilität. Obwohl ich mich hier sehr wohl fühle, gibt es natürlich immer noch Momente der Einsamkeit, des Heimwehs und des fehlenden Austauschs mit Leuten aus meiner Heimat.“
Zwei Zuhause
„Jetzt lebe und studiere ich in Bonn, arbeite hier und lache mit Freund*innen, die ich auf dieser Seite des Ozeans gefunden habe“, resümiert er und zeigt mir Fotos von den letzten Jahren. Besonders freut er sich, als Lehrer später einen Teil der vielfältigen Kulturen Mexikos im Spanischunterricht mit den Schüler*innen teilen zu können. „Den Schüler*innen aus meinem Praktikum hat es total gefallen, dass Herr Martínez ihnen mexikanische Süßigkeiten mitgebracht und Guacamole im Unterricht zubereitet hat“, berichtet er mit einem Lächeln im Gesicht. Am Ende interessiert mich, was das Schönste war, das Adrián seit seiner Ankunft in Bonn erlebt hat. „Das ist schwer zu sagen“, meint er nachdenklich. „Wahrscheinlich sind es Reisen und dass ich Freund*innen aus Mexiko mein neues Zuhause zeigen konnte. Als ich mit dem Flugzeug nach einem Urlaub wieder in Düsseldorf gelandet bin, dachte ich: Jetzt bin ich wieder zuhause. Dieser Gedanke hat mich überrascht, aber es war schön, dass ich nicht mehr nur Mexiko als mein Zuhause sah.“
Adrián hat zwei Zuhause. Guadalajara in Mexiko und Bonn in Deutschland.