Im Ranking von barrierefrei-studieren schneidet die Uni Bonn mit 5 von 10 Sternen nur durchschnittlich ab, wenn es um das Thema Barrierefreiheit geht. Als eine von gerade einmal zehn Exzellenzuniversitäten in Deutschland ist das nicht ganz so exzellent wie in anderen Bereichen. Wie steht es also um Inklusion und Barrierefreiheit an der Uni Bonn? Ich habe mit drei Studierenden mit Behinderung und der Stabsstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität gesprochen.
Die drei Studierenden, Lena C., Lena L. und Solveïg, haben mir von ihren sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit der Uni Bonn erzählt. Lena C. (Pronomen sie/dey) ist 23 Jahre alt, sie hat nie angefangen an der Uni Bonn zu studieren, weil sie schon im ersten Telefonat unschöne, ableistische Erfahrungen gemacht hat. Auf die Frage, wie viele Treppen sie gehen muss, um ihre Vorlesungen zu besuchen, wurde Lena C. geantwortet, das Studium sei zu anspruchsvoll, sie solle lieber eine Ausbildung machen. Ihre eigentliche Frage nach den Treppen wurde nicht beantwortet.
Ableismus als Diskriminierungsform
Behinderte Menschen werden vorverurteilt und ihnen wird weniger zugetraut. Ableismus bezeichnet diese Form von Diskriminierung, bei der Menschen aufgrund einer Behinderung, einer chronischen oder psychischen Krankheit ungleich behandelt werden, weil sie der gesellschaftlichen Norm nicht entsprechen. Auch neurodivergente und Taube Personen können von Ableismus betroffen sein.
Es ist aber nicht nur ableistisch, Menschen mit Behinderung pauschal weniger zuzutrauen, sondern auch von ihnen die gleichen Leistungen zu erwarten. Unsere gesellschaftlichen Strukturen sind auf die Menschen ausgerichtet, die der vermeintlichen Norm entsprechen. Aber jeder Mensch ist individuell und hat unterschiedliche Ressourcen. Da allen Menschen ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe zusteht, sollte unsere Gesellschaft auch unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen.
„Sie sind ja richtig gut“
Lena L. (Pronomen sie/ihr) hat vor und während ihres Studiums ähnlich vorverurteilende Erfahrungen gemacht. Sie hat Musik und Philosophie studiert und erzählt, dass ihr von Angehörigen vor dem Studium immer wieder gesagt wurde: Mach doch lieber eine Ausbildung. Im Gegensatz zu Lena C. schildert sie ihre Erfahrungen mit den Beratungen an der Uni als positiv, bei ihr war der Vorteil: Sie hatte eine Diagnose, die sie den Beratenden vorlegen konnte. Somit konnte sie recht easy einen Härtefall- und Nachteilsausgleich beantragen. Der ermöglichte ihr zum Beispiel, schriftliche Prüfungen in mündliche umzuwandeln. Die Vorverurteilung hat sie im Studium aber weiterhin erlebt – Kommentare wie „Sie sind ja richtig gut“, die erstmal schmeichelhaft wirken, haben einen bitteren Beigeschmack: Sie suggerieren, dass Menschen mit Behinderung pauschal schlechter in der Uni sind und dass ihnen weniger zugetraut werden kann. Das sind ableistische Vorurteile, die in unserer Gesellschaft und damit auch in einer Institution wie der Uni noch immer in den Köpfen verankert sind.
Es braucht mehr Sensibilisierung
Um diese Vorurteile abzubauen, braucht es mehr Sensibilisierung. Mit der Projektkoordinatorin für Inklusion & Teilhabe an der Stabsstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität, Julia Lindenberg (Pronomen sie/ihr), habe ich über sensibilisierende Maßnahmen an der Uni gesprochen. Sie erzählt mir von mehreren Projekten und Workshops, die über Ableismus aufklären und die Perspektiven von behinderten Menschen und behinderten Studierenden aufzeigen sollen. Die Uni arbeitet z.B. mit dem Projekt „InklusionsGuides“ vom Hildegardis Verein zusammen. Der Verein setzt sich für die Förderung von Frauen in der Arbeitswelt ein. Bei dem Projekt kommen Frauen mit Behinderung in die Uni und beraten diese in Inklusionsthemen.
Zu den Workshops der Stabsstelle kommen vor allem Mitarbeitende der Uni, die in der Beratung arbeiten. Das ist wichtig, weil diese direkt mit den behinderten Studierenden in Kontakt sind und dafür auch geschult und sensibilisiert sein müssen. Aber: das gilt auch für alle anderen Personen an der Uni. Besonders für Dozierende und Kommiliton*innen. Die oben beschriebenen Kommentare zeigen ja: Die Studierenden sind auch alltäglich mit Ableismus konfrontiert.
Eine Erfahrung von Solveïg (Pronomen hen/hens) zeigt, dass es auch für Dozierende Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen geben muss. Ein Dozent hat zu hen mal gesagt, wenn er alle seine Studierenden gleichbehandle, wäre das doch gerecht. Außerdem wurde Solveïg auch in einem Seminar schonmal fremdgeoutet, ein Dozent hat hens Behinderung im Seminar vor allen anderen Kommiliton*innen genannt. Sensibel geht anders. Solveïg betont, es gebe auch super informierte Dozierende, die sich bemühen, Lösungen zu finden. Aber es gibt eben auch das komplette Gegenteil. Um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden, sind Strukturen wichtig, die Ableismus an der Uni öffentlich machen, thematisieren und aktiv bekämpfen.
Diversitätsstrategie der Uni
Um Diskriminierung aller Art an der Uni zu verringern, arbeitet die Stabsstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität an einer Diversitätsstrategie. Die Strategie soll sicherstellen, dass alle Personen so diskriminierungsfrei wie möglich an der Uni studieren können. Ein Teil der Strategie ist auch Inklusion. Sowohl im Gespräch mit Julia Lindenberg als auch mit den Studierenden wird klar: Es sind vor allem die Strukturen, die Inklusion an der Uni behindern. Die Zuständigkeiten sind sehr verstreut – über die Stabsstelle, zum Institut, übers Prüfungsamt bis zum Studierendenwerk. Für die Studierenden ergibt sich daraus eine ganz schöne Rennerei sowie das Problem, dass sie teilweise hin- und hergeschickt werden, weil nicht klar ist, welche Zuständigkeit wo liegt. Das kostet Zeit und Kraft, die gut fürs Studium gebraucht werden könnte. Ein konkretes Beispiel für die Uni Bonn ist außerdem, dass es keinen Raumplan von allen Gebäuden mit eingezeichneten Barrieren gibt. Das erschwert den Uni-Alltag, weil die Studierenden sich diese Informationen selbst zusammenstellen müssen.
Manche Strukturen in der Lehre erschweren nicht nur Studierenden mit Behinderung den Studienalltag. Bei acht Stunden frontal-Vorlesung am Tag kann sich kein Mensch mehr richtig konzentrieren. Vor allem wenn es zwischen den Vorlesungen keine Zeit und keine Möglichkeit zum Ausruhen gibt, z.B. durch Ruheräume mit Liegemöglichkeiten. Auch das können Maßnahmen sein, um den Studienalltag inklusiver zu gestalten.
Kein Geld oder keine Priorität?
Für Julia Lindenberg macht genau das auch gute Lehre aus, sie sagt: „Exzellente Lehre ist für mich eben auch eine Lehre, die unterschiedliche Lerntypen berücksichtigt und auf verschiedene Bedürfnisse Rücksicht nimmt“. Die genannten Punkte sind für sie keine neuen Informationen. Als Projektkoordinatorin für Inklusion und Teilhabe hat sie diese auf dem Zettel und will sie gerne angehen. Sie plant zurzeit zwei Projekte zur Erfassung der Barrierefreiheit von Räumen und zur digitalen Barrierefreiheit. Diese Projekte brauchen aber Zeit. Auch, weil die Ressourcen knapp sind. Sie sagt: „Auch wenn das eine unpopuläre Meinung ist, aber es braucht dafür Ressourcen, es braucht Personal, es braucht Geld, es braucht quasi ne Verbindlichkeit […], das ist das, wofür wir uns auch einsetzen als Stabstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität und wir beraten auch die Universität in diese Richtung.“ Wie knapp die Ressourcen sind, zeigt sich an personeller Stelle: Es gibt nur eine Beauftragte für Studierende mit Behinderungen für fast 32.000 Student*innen.
Die Ideen sind also da, es fehlt an Geld und Personal. Vielleicht aber auch an der Bereitschaft, Geld und Personal an anderer Stelle zu sparen, um Inklusion mehr Priorität zu schenken.
Neues Referat für ableismusbetroffene Studierende im AStA
Am 15.07. findet eine AStA Vollversammlung für alle von Ableismus betroffenen Studierenden statt, um ein neues AStA Referat zu gründen. Das Referat soll CIMND* Referat heißen, die Buchstaben stehen für Chronical Ill (chronisch krank), Mentally Ill (psychisch krank) und Mad (verrückt), Neurodivergent, Deaf (Taub) und Disabled (behindert). Ableistische Diskriminierung findet in der Uni bisher nur wenig Aufmerksamkeit. Vielen ist der Begriff unbekannt. Das neue AStA-Referat soll das ändern und Betroffene eine Möglichkeit geben, sich auszutauschen. Infos dazu findet ihr auf der Website des AStAs.
