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Bild: Joël Hunn

„Jede Geschichte braucht ein Geheimnis“

Lesezeit: 3 Minuten

Aus wie vielen Geheimnissen bestehen wir? Wer sind wir eigentlich hinter der Scheinwelt, die wir um uns herum aufbauen? Mit dem Schein und Sein unserer Welt und ihren Charakteren setzt sich der Schweizer Autor Martin Suter in seinem Roman Melody (2023) auseinander. Wir haben mit dem Schriftsteller gesprochen und ihn gefragt, was ihn zu dieser Geschichte gebracht hat, mit welcher Figur er sich am meisten identifiziert und wieso er die Fiktion mehr liebt als die Realität.

Martin Suter im Gespräch

Mittlerweile wurden seine Werke in 35 Sprachen übersetzt und stehen ununterbrochen an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten. Zu den bekanntesten zählen Business-Class oder auch Die dunkle Seite des Mondes. Die Rede ist von einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller unserer Zeit: Martin Suter.

Mit seinem neuesten Roman Melody, so berichtet der SFR, habe er sich an eine Liebesgeschichte gewagt, aber es ist viel mehr als das.

Dr. Peter Stotz verliebt sich in die schöne, viel jüngere Buchhändlerin Melody mit marokkanischen Wurzeln. Kurz darauf verloben sie sich, doch wenige Tage vor der Hochzeit verschwindet Melody spurlos. Der ehemalige Offizier und einflussreiche Politiker Stotz versucht sie zu finden. Hat sie vor der Hochzeit kalte Füße bekommen oder ist sie einem religiös motiviertem Ehrenmord zum Opfer gefallen? Es beginnt eine verzweifelte Suche, die Stotz bis zu seinem Tod nicht aufgibt. Erschienen ist der Roman im Diogenes Verlag für 26€.

Schein und Sein

Peter Stotz zieht die Fäden der Gesellschaft, in der er lebt, ist gut vernetzt, legt viel Wert auf sein öffentliches Auftreten sowie auf sein Nachleben, das der junge Anwalt Tom ordnen soll. Dieser stößt dabei auf Geheimnisse und Einsichten, die unter seine anwaltliche Schweigepflicht fallen. Melody ist auch nach ihrem Verschwinden der ganze Lebensinhalt von Peter Stotz. Sie ist in jedem Raum präsent, als Gemälde, Zeichnung oder auf Fotos. Durch ihre ständige aber stumme Präsenz wird sie für den jungen Anwalt und auch für den Leser immer geheimnisvoller. Suter betont im Interview: „Jede Geschichte braucht ein Geheimnis [und das von Melodie] war ein gewaltiges Geheimnis.“ Immer wieder fragen sich die Leser*innen, wann und wie viel sie von dem, was erahnt werden kann, erfahren. Dabei nimmt der Autor sich heraus, die Leser*innen mit unerwarteten Wendungen und Perspektivwechseln zu überraschen.

Wirklichkeit und Fiktion

Beim Schreiben seiner Romane legt Suter großen Wert auf die Genauigkeit der Fakten und recherchiert selbst kleinste Details wie den Flugkomfort der Business Class in den 1980er Jahren. Dazu erklärt er im Interview, dass eine Lüge in 10 Wahrheiten eingebettet sein muss, um diese dem Leser glaubwürdig zu verkaufen, weshalb er alles korrekt darstellt, was möglich ist. Er selbst liebt die Fiktion genauso sehr wie sein Protagonist und auch wenn Suter mit diesem sympathisiert macht er deutlich, dass er nichts Autobiografisches in seine Bücher einfließen lässt. Dr. Stotz sei dennoch ein kleiner Teil von ihm, den er für dieses Buch groß gemacht hat.

Lesung der Melody-Tour

Die Lesung, moderiert von Andrea Burtz, fand am 17.03.2024 vor ausverkauftem Haus im Kölner Gürzenich statt. Martin Suter las selbst aus den ersten Kapiteln des Buchs vor, erläuterte diese im Gespräch mit der Moderatorin und gab Kommentare zur Entstehung der Figuren und der Geschichte selbst. Im Interview gab er ähnliche Einblicke hinter die Kulissen wie bei der Lesung, wobei die Atmosphäre und das Charisma des Autors nur live zu erleben sind. Im Publikum saßen überraschend viele junge Menschen, wodurch jede Altersgruppe bei der Lesung anwesend war und sichtlich Spaß hatte, denn es wurde viel gelacht.

Ratschläge für Nachwuchsschriftsteller:innen

Im Interview verrät Suter sogar Tipps und Tricks, die er in seinem bisherigen Schriftstellerleben bis jetzt gelernt hat: „Schreibt keinen ersten Satz, ohne den letzten zu wissen“, als er sich daran nicht gehalten hatte, so meinte er, hätte er zwei große Manuskripte verwerfen müssen. Durch seine frühere Tätigkeit als Werbetexter habe er aber auch gelernt, dass das Scheitern Teil des Prozesses ist. Für alle, die sich auch in der Lyrik ausprobieren wollen, hat Suter, auf seinem Account der Plattform X, ein Poesie-Ping-Pong ins Leben gerufen, bei dem abwechselnd mit ihm zusammen gedichtet werden kann. Die besten Verse werden dabei auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Außerdem teilte Martin Suter im Gespräch uns zum Schluss noch seine literarischen Beobachtungen zum Hundekot mit, die er zuletzt in seinem Notizbuch festgehalten hat. Vielleicht finden sich diese ja sogar im neuen Buch Allmen und Herr Weynfeldt wieder, welches ab dem 20.03.2024 auf dem Buchmarkt erhältlich ist.

Insgesamt ist es eine generationsübergreifende Leseempfehlung, auch wenn Suter humorvoll anmerkte, dass er glaubt, die jüngere Generation würde seine Bücher nicht lesen, wenn es keine jungen Personen darin geben würde. So ist es aber die Interaktion zwischen den Figuren und die Geheimnisse, die sie voreinander haben, die das Buch unabhängig vom Alter der Charaktere lesenswert macht.