Die Prüfungen sind geschrieben, die Semesterferien können kommen. Eigentlich ein Grund zur Freude. Wie eine Bonner Jurastudentin die freie Zeit alles andere als freudig erlebte und was wir dagegen tun können, wenn uns zu viel Freizeit weniger gut tut, als wir es manchmal glauben.
Semesterferien – für viele Studierende ein Begriff, welcher Euphorie und Gelassenheit auslöst. 14 Wochen lang dauert im Schnitt das Semester, das vollgepackt ist mit Vorlesungen, Seminaren und Hausarbeiten, die alle auf ein Ziel gerichtet sind – nämlich Prüfungen zu bestehen. Wer studieren will, der muss auch sich selbst organisieren können. Denn neben Uni-Veranstaltungen warten da auch noch soziale Kontakte, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Meistens kommt dann auch noch der Minijob dazu. Wem das Amt für Ausbildungsförderung nämlich den Geldhahn zudreht, weil die Eltern einen Euro zu viel verdienen, muss das Studierendenleben auch irgendwie finanziert bekommen.
Kein Wunder also, dass man nach der abschließenden Prüfungsphase die langersehnten Ferien gar nicht abwarten kann. Ob die Klausuren bestanden sind, ist jetzt erstmal egal. Der Dopamin-Schub wird jetzt gerne mit nach Italien genommen oder mit Aperol in der Heimat gefeiert. Meistens hält dieser allerdings nur ein paar Tage an, bis das anfängliche Glücksgefühl wieder schwindet und die Laune manchmal in die ganz andere Richtung schwenkt oder man sich sogar körperlich krank fühlt. Expert*innen reden hier oft von „Leisure-Sickness“, also übersetzt „Ferienkrankheit“, oder auch einer „Entlastungsdepression“. Wer jetzt den Rest seiner Ferien nicht streng durchgeplant hat, kann schnell in ein kleines Tief aus Antriebslosigkeit und existenziellen Sinnfragen fallen. Wohin plötzlich mit der ganzen freien Zeit?
“Sachen, die ich eigentlich mag, konnte ich nicht wirklich genießen.”
Isa studiert Jura und durfte das Ganze am eigenen Leib erfahren – nur ein bisschen intensiver. Intensiv, eigentlich ein Wort, womit häufig eher positiv auf Produkten für persönliche Gefühls-Höhepunkte bei verschiedensten Aktivitäten geworben wird. In diesem Kontext allerdings eher unerwünscht. Fünf Jahre lang hat sich Isa auf ihr erstes Staatsexamen vorbereitet. Im Repetitorium und der Examensphase täglich 10 Stunden unter der Woche im Juridicum pauken war da keine Seltenheit mehr. Vor ihrer letzten wichtigen mündlichen Prüfung war der Druck dann am extremsten. „Selbst kleine private Termine haben zusätzlich Stress ausgelöst, weil meine Struktur durchbrochen war“, sagt sie. Das alles aber wurde in Kauf genommen für das eine große Ziel – Diplom-Juristin zu werden.
Am Tag der mündlichen Prüfung war es dann so weit – riesige Euphorie und Erleichterung. Die Tage danach konnte sie endlich wieder genießen und das machen, worauf sie Lust hatte. Die nächsten drei Wochen waren als Entspannung geplant, bevor es zu den allerletzten nicht-staatlichen Klausuren gehen sollte. Als sie dann ihre Schwester in Berlin besuchte, merkte sie, wie die Stimmung langsam umschlug. „Sachen, die ich eigentlich mag, konnte ich nicht wirklich genießen“, erzählt sie. Hinzu kamen Selbstzweifel und soziale Ängste, die dazu führten, dass sie sich bei Treffen unwohl fühlte.
Leisure-Sick, eigentlich eine normale Reaktion
„Dass man sich nach hoher Belastung ein paar Tage so fühlt, das geht vielen so“, sagt Dr. Thomas Plieger vom psychologischen Institut der Universität Bonn. „Der Körper will sich dann zurückholen, was man sich in den letzten Wochen nicht gegönnt hat – nämlich Ruhe.“ Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das auch völlig einleuchtend. Biologisch gesehen produziert der Körper in Phasen großer Anstrengung vermehrt das Stresshormon Cortisol, was uns evolutionstechnisch auf eine Kampf-oder-Flucht-Situation bereit machen soll. Dabei werden Energiereserven mobilisiert, um den Stress zu bewältigen.
An sich also eigentlich ein positiver Effekt. Allerdings wirkt dieses Hormon auch immunsuppressiv, was uns anfälliger für Krankheitserreger macht. Wenn wir unsere Energiereserven aber dafür nutzen, um nach außen gerichteten Stress wie z.B. Prüfungen zu bewältigen, dann schiebt der Körper den Kampf gegen nach innen eingedrungene Krankheitserreger erstmal auf. Das führt dann dazu, dass Menschen oft krank werden, wenn sie in den Urlaub fahren. Psychologisch gesehen, kann die plötzliche Entlastung zu innerer Leere und Antriebslosigkeit führen. Was auch logisch klingt, denn wenn der komplette Tagesablauf in den letzten Wochen oder sogar Monaten der Erreichung eines einzigen Ziels gewidmet wurde, wirkt der neue Tagesablauf wortwörtlich „leer“.
„Problematisch wird es nur dann, wenn wir nach zwei bis drei Wochen merken, wir kommen aus diesem Loch nicht mehr raus“, sagt Dr. Plieger. So auch bei Isa. Nach drei Wochen fühlte sie sich immer noch so gerädert, dass sie sich nicht in der Lage sah, die letzten Klausuren zu schreiben. So muss es zwar nicht bei jedem laufen, aber „gerade neurotizistische Personen, die ängstlicher und angespannter sind, sind häufiger die, die zu solchen Symptomen neigen“, so Plieger. Klingt ein bisschen, als wäre man das Opfer seiner selbst, aber dem ist nicht so.
Universität und Region Bonn bieten Ablenkung in den Ferien
Wenn man längerem Stress ausgesetzt ist und weiß, dass man anfälliger für eine „Leisure-Sickness“ ist, hilft es vielen vorbeugend, sich bewusst und konsequent Freiräume in dieser Phase zu schaffen. Sollte man in der Entlastungsphase nach ein paar Tagen oder Wochen merken, dass man weiterhin antriebslos ist, können vor allem Sport, soziale Aktivitäten und sich neue gesunde Alltagsstrukturen zu schaffen die ersten Hilfsmittel sein. Auch Thomas Plieger erklärt, dass Sport ein großer Faktor ist: „Es gibt Autor*innen, die davon ausgehen, dass Sport einen größeren Effekt haben kann als eine Psychotherapie“. Sollte das auf Anhieb nicht helfen, kann eine psychologische Beratung oder eine Therapie der nächste Anlaufpunkt sein.
In den Semesterferien eignet sich für Studierende der Hochschulsport, der spezielle Angebote für die Ferien bereitstellt. Zudem bietet aber auch die Region Bonn zahlreiche Hotspots für den Sommer an. Die Eifel und das Siebengebirge sind beliebte Ausflugsziele für Wanderungen. Wer sich keinen Urlaub leisten kann und neben Sport auch Strandfeeling haben will, für den können die Bonner “Strände”, wie der Copacabana Beach oder Bikini Beach in Oberkassel, eine Option sein.
Sportliche Aktivität und eine Therapie sind zumindest das, was Isa am meisten geholfen hat. Mittlerweile fühlt sie sich besser als je zuvor und kann nach ihren letzten Prüfungen endlich auch die Zeit wieder richtig genießen.