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Bild: Ole Liebl/privat

Sex aus Freundschaft (+)

Lesezeit: 2 Minuten

Haben wir einen blinden Fleck in unseren Beziehungsanalysen? Warum reden wir über Situationships und (offene) Beziehungen, aber nicht über Freundschaft plus? Ole Liebls neu erschienenes Sachbuch Freunde lieben – die Revolte unserer engsten Beziehungen“ will das ändern. Wir haben mit dem Autor gesprochen, den manche vielleicht schon von TikTok und Instagram kennen und verraten in der Buchkritik, warum ihr diese Liebeserklärung an die Freundschaft unbedingt lesen solltet.

Interview

Eine Liebeserklärung an die Freundschaft

Aber was ist denn Freundschaft plus? Freundschaft plus Sex? Keine Partnerschaft. Aber ist Liebe erlaubt? Das Buch beginnt mit einigen Begriffsbestimmungen, von (nicht) monogamen Partnerschaften zu One-Night-Stands über Booty Calls, Fuck Buddies, Situationships und natürlich der F+. Freundschaft plus soll nach Ole Liebl keinesfalls ein zum Scheitern verurteilter Beziehungsersatz bindungsgestörter Großstädter sein, im Gegenteil: Es geht darum, tiefe Zuneigung, Körperlichkeit und Aufregung auch in Freundschaften zuzulassen und anzuerkennen. Gefühle dürfen auch denen einer Partnerschaft ähneln, erfüllen aber unterschiedliche soziale Funktionen. Im Kontrast zur sexuellen Freundschaft stellt Liebl die regellose Situationship, die so toxic casual ist, dass sie einen offenen Austausch über das Verhältnis verhindert. Demgegenüber zeichne sich Freundschaft viel eher durch Vertrauen, Verbindlichkeit und Offenheit aus.

Die Geschichte der heterosexuellen Paarbeziehung

Dass die F+ so lange unter dem Radar geblieben ist, liegt nach Liebl auch daran, dass gegengeschlechtliche Freundschaften ein relativ junges Phänomen sind. Um die Geschichte und Gegenwart zu verstehen, analysiert er die Ehegeschichte, HIV/Aids- und Corona-Krisen und verarbeitet Ergebnisse der Emotionstheorie. Auch kommt seine Untersuchung nicht ohne Analyse von Machtstrukturen und der Herausforderung von Konsens aus. Der Hauptfokus der Untersuchung liegt in heterosexuellen Paarbeziehungen, die eingebettet in eine Kritik an bestehenden Geschlechterverhältnissen ist. Auch wenn die queere Kultur nur wenig Teil dieser Untersuchung ist, bereichert sie die Analyse wesentlich, auch durch die queere Perspektive des Autors.

Liebl schreibt mit philosophisch-wissenschaftlichem Feingefühl, gelegentlich auch sehr humorvoll bis zu angenehm edgy Thesen: Was passiert, wenn wir Körper begehren wollen, auf die wir eigentlich gar nicht stehen – ganz einfach, weil es Körper von Menschen sind, die wir innig und leidenschaftlich als Freund:innen lieben?“ (S. 36). 

Gegen jede Binarität

Wo verlaufen jetzt die Grenzen zwischen Lust und Liebe, zwischen Freundschaft und Partnerschaft? Die Sezierung des sexuellen Miteinanders bringt Liebl an die Grenzen der Begriffe und schwappt hin und wieder in die Gebiete über, die sonst mit Begriffen wie Polyamorie oder Beziehungsanarchie umrissen werden. Das mag für einige Leser*innen erschütternd oder praxisfern sein, doch Liebl steuert thematisch immer wieder entgegen, zurück ins vertraute Ufer der Freundschaft. Das Buch gibt hilfreiche Impulse und sogar Empfehlungen, die Erotik der Freundschaft als eine selbstgewählte Aufgabe zu verstehen.

Am Ende ist es keine Bedienungsanleitung, aber auch keine zu theoretische Abhandlung eines eigentlich praktischen Themas. Hier finden sich wirklich neue Perspektiven auf Freundschaft, Sexualität und Zuneigung jenseits von binären Kategorien jeder Art. Das macht unglaublichen Spaß zu lesen und ist dicht und originell geschrieben, ohne dabei auf Entblößungen des Autors angewiesen zu sein. Eine Bereicherung für alle, die Freundschaft lieben und mehr wollen – das muss dann auch nicht unbedingt Sex sein.