Eine Frau wie Flieder

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Kunst!Rasen am Mittwoch: Die inzwischen 74-jährige Folk-Ikone Joan Baez ist ein Kind der 60er. Woodstock, Bob Dylan, Blumen als Symbol – doch viel mehr war es der angestrebte Frieden, den die Sängerin durch Demonstrationen, Proteste und ihre legendären Folk-Stücke forderte.
Diesmal kam sie zu uns nach Bonn und spielte ein wunderschönes Konzert auf dem ausverkauften Kunst!Rasen in Gronau.

Baez. Jedes Mal spreche ich ihren Namen falsch aus. Bäz sage ich. Eigentlich weiß ich, dass es ausgesprochen <Bajäs> heißt, dennoch sage ich Bäz. Vielleicht liegt es daran, dass das polnische Wort für Flieder ‚Bäz‘ ausgesprochen wird und ich Joan durch die falsche Aussprache viel lieber mit einer Blume assoziiere, die nicht nur schöne, farbige Blüten trägt, sondern auch wunderbar und stark duftet. Irgendwie passt es zu ihr.

19:10
Ich bin viel zu spät dran, denke ich, aber das ist nicht wahr. Im blauen Kasten hole ich meine Karte und meinen Fotopass ab und schlendere Richtung Bühne. Langsam fühlt es sich. Nach und nach werden die nummerierten Sitzplätze mit eher älteren Zuschauern besetzt.
Viel graues Haar sehe ich. Ich warte und begebe mich langsam Richtung Bühnengraben zu den Fotografen mit ihren meterlangen, Trichter-artigen Riesen-Objektiven. Ich habe kein Riesen-Objektiv.

19:35
Joan Baez [ich denke aber immer noch Bäz] erscheint. Sie hat auch graues Haar. Wie die meisten hier.
Ich denke daran, dass sie möglicherweise schon viele erlebten als sie noch in Woodstock spielte oder als sie mit Bob Dylan liiert war. Da hatten sie bestimmt noch kein graues Haar.

Beaz legt los. Sie singt einen Klassiker: „Silver Dagger“. Sie trägt noch immer ihre getönte Brille und meint, dass sie meistens eine Stunde später spiele und sie deshalb noch ihre Brille auf der Nase trage. Sympathisch, denke ich. Später erfahre ich, dass sie den Song vor über 50 Jahren geschrieben hat. Das ist lange her. Ich mache schnell meine Fotos und husche nach zwei Liedern wieder zurück und mische mich zu den stehenden Zuschauern.

Gitarre & Emotionen

Joan Baez ist 74. Sie hält die Gitarre wie ich meine Zahnbürste am Morgen – völlig automatisch in der Hand. Wie etwas, das einfach zu einem gehört. Wenn sie nicht spielt und singt, legt sie eine heiße Sohle mit dem Multiinstrumentalisten Dirk Powell auf’s Parkett, der sie auf der Bühne mit mindestens vier unterschiedlichen Instrumenten unterstützt. Auch ihr Sohn Gabriel Earl Harris macht mit. Er spielt Percussion und darf sogar ein Solo spielen, während seine aufgeweckte Mutter ein Tänzchen hinlegt.
Die Aktivität der Zuschauer dagegen scheint gering. Aber wie soll man sich im Sitzen schon groß bewegen? Der höfliche Beifall nach Ende der Songs ist da, jedoch ist dieser eher besonnen. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass sich die Menschen langweilen. Eher meine ich zu spüren, dass da eine besondere Verbindung zwischen ihnen und der Sängerin herrscht.
Nach und nach steigert sich diese Verbindung so sehr, dass ich Tränen sehe. Ein großer Mann, der neben mir steht, weint, als Baez „Diamonds & Rust“ singt. An welche Momente er sich wohl erinnert?

Bild: Aleksandra Polnik / bonnFM
Bild: Aleksandra Polnik / bonnFM

Die Sängerin singt Lieder, die sie selbst einmal komponierte. Lieder, die Dirk Powell komponierte und Cover. Gleich mehrere Stücke ihres damaligen Partners Bob Dylan, Songs von Kris Kristofferson und Tom Waits. Baez ist gut drauf. Sie kündigt ein Country-Stück im Südstaaten-Akzent an und beweist Humor. Yeehaw!
Einige der Zuschauer überwinden sich und kommen nach vorne. Manche fangen an zu tanzen. Baez fordert die Leute zum Singen auf. Die Stimmung steigt. Auch die Grauhaarigen springen auf und huschen nach vorne. Wenigstens noch für ein Foto von Nahem. Spätestens mit Konstantin Weckers „Wenn unsere Brüder kommen“ hat Baez so gut wie alle Herzen erreicht. Das Publikum ist bei ihr.

20:45
Baez verlässt die Bühne. Doch der zunehmende Applaus lässt sie kurzerhand wieder zurückkommen. Sie spielt gleich vier Zugaben. „Sag mir, wo die Blumen sind“ und „Donna Donna“ unter anderem.
Am Ende überrascht sie ihre Fans noch mit einer A Capella-Version von „Swing low, sweet Chariot“. Was für eine Frau, was für ein Stimme. Schön und intensiv! Wie der Flieder.

Am Schluss verabschiedet sie sich:
„Thank somebody that it didn’t rain.
Thanks to life,
Thank you.“

Ich sehe sie noch um’s Eck gehen und eine Strike-Geste machen.
Ach, was eine fröhliche und wache, starke Frau, denke ich.
Auf meinem Fahrrad nach Hause summe ich „Diamonds & Rust“ und gebe mir ein Versprechen immer stark und fröhlich zu sein. Wie Joan Baez. Oder Joan Flieder.