Die leisen und die großen Töne ist der perfekte Film für die aktuelle Jahreszeit. Ein unterhaltsames Sozialdrama mit viel Tiefe – dabei manchmal zu hochgestochen. In jedem Fall sehenswert und mit viel Witz gespickt.
Ein Film über Familie, ein Film über Musik
Thibaut Desormeaux (Benjamin Lavernhe) ist ein gefeierter Dirigent, der die großen Bühnen der Welt kennt. Er lebt in einer großen Stadt, und führt ein Leben komplett der Musik gewidmet. Mitten in seinem erfolgreichen Leben stellt eine Leukämie-Diagnose plötzlich alles auf den Kopf. Gleichzeitig erfährt er, dass er adoptiert wurde – und einen jüngeren Bruder hat: Jimmy Lecocq (Pierre Lottin), der in einer Schulküche in Nordfrankreich arbeitet.
Obwohl die beiden Brüder auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten, teilen sie eine Leidenschaft: die Musik. Jimmy spielt Posaune in der Blaskapelle seiner Heimatstadt. Thibaut ist beeindruckt von Jimmys Talent und will ihm helfen, seinen musikalischen Traum zu verwirklichen. Gemeinsam schmieden sie einen Plan: Mit dem kleinen Orchester wollen sie bei einem nationalen Wettbewerb ganz groß rauskommen.
Heimat und Schicksal
Der Regisseur Emmanuel Courcol hat in der Vergangenheit in Filmen wie „Ein Triumph“ (2021) ebenfalls schon Geschichten erzählt, die nah an persönlichen Schicksalen sind und die ‚Sphären‘ aufeinander treffen lassen. Sein Film spielt mit der Frage nach David gegen Goliath. Es geht um große Träume, Romantik und Familie.
Wenn wir als Zuschauer Jimmy Lecocq in seiner Heimatstadt besuchen, sehen wir, wie sich die beiden Brüder annähern. Dabei sticht eine Sache hervor: Die Darstellung von echten Konflikten. Die Figur von Thibaut Desormeaux wirkt an manchen Stellen zwar unnahbar und als Protagonist des Films bietet er doch wenig Identifikationsmöglichkeiten, genau das sorgt aber in Kombination mit Jimmy für eine perfekte Dynamik. Jimmy bricht nach und nach emotional auf, es zeigt sich bei ihm eine charakterliche Entwicklung und wir als Zuschauende sehen diese Verbindung von Stadt- und Landgesellschaft. Auch wenn diese binäre Trennung schnell ins Klischee rutschen kann, funktioniert es auf Ebene der Beziehung der beiden Brüder wunderbar.
Die starken und die schwachen Töne
Der Film funktioniert großartig, wenn es darum geht, die kleinen Momente des Lebens auf großer Leinwand zu zeigen. Die Komplexität von Beziehungen. Die Biografie dieser so ungleichen Brüder, die plötzlich gegenseitig ihr Leben beeinflussen. Jimmy, der im Musikverein ist, weil man in einem Verein ist – nicht weil es seine große Leidenschaft ist, Marschmusik zu spielen. Thibaut, der eine gänzlich andere Motivation zu haben scheint.
Der Film hat allerdings auch Schwächen. Wenn es um die Kommentierung politischer Problematiken geht, lässt sich aus der Handlung nicht gut abstrahieren. Ohne zu viel vorwegzunehmen, nimmt der Film eine Wende weg von der Situation dieser beiden Brüder, hin zu größeren politischen Fragestellungen.
Außerdem wirkt Thibaut im Film immer so, als hätte er eine deutlich geringere Fallhöhe als sein Bruder. Es fällt schwer, herauszulesen, wie Thibaut sich fühlt, im Schauspiel Jimmys ist dies ehrlicher erkennbar, da wir bei ihm als Zuschauer*in mit wesentlich mehr Informationen ausgestattet werden. Thibaut setzt sich für seinen Bruder und die Marschband ein, gerät mit Ausnahme eines kurzen Momentes nach einem tiefen Gespräch mit seinem Bruder jedoch nicht aus der Fassung. Zwar typisch für ein Sozialdrama, verliert der Film hier an Glaubwürdigkeit.
Die leisen und die großen Töne schlittert gegen Ende durch zu viele Themenkomplexe in eine wage politische Botschaft und versucht zu viele persönliche Schicksale mit hineinzubringen. Insbesondere in der zweiten Hälfte des Films verliert sich der Film storytechnisch in diesen Themen, fängt sich jedoch gegen Ende wieder ein. Er driftet dabei allerdings nie zu stark ins Klischee, sondern hält sich die Waage.
Interessant dabei: Der Film hat so viel Musikstücke anderer Komponist*innen, dass zur Untermalung keine Originalmusik verwendet wurde, das sagt der Regisseur in einem Interview. Dem Flair des Films hätte so ein musikalischer roter Faden nicht geschadet, durch diese Entscheidung liegt der Fokus aber stark auf der Differenz der klassischen Musik bei Thibaut und der Marschmusik bei Jimmy.
Fazit
Der Film ist für alle Liebhaber*innen von Musik. Für alle, die sich gerne in die sozialen Problemstellungen auf dem Land hineinversetzen wollen und keine Lust mehr auf zu viel Klischee haben. Der Film ist ein Film zum Fühlen, und ein Film, um danach darüber zu sprechen. Seine Stärke ist die Authentizität, nicht das Pathos. Und er funktioniert insbesondere durch die Chemie des Casts.
Der Film startet am 26.12. in den deutschen Kinos.