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„Blödsinn & Glamour“ – Kokolores die Dragstage in der Brotfabrik Bonn

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Dragqueens und alte weiße Männer, Lip Sync und Tanz, Dragkings und fliegende Spagate, all das konnte man an diesem Dienstagabend bei der Dragstage Kokolores in der Brotfabrik Bonn bestaunen. Oder besser gesagt: es gab eigentlich nichts, was das Publikum nicht gesehen hat bei diesem freudig-queeren Spektakel.

Seit Wochen ist sie restlos ausverkauft: die zweite Ausgabe der Dragstage Kokolores Bonn. Zurecht! Die buntgekleidete Menschenmasse – man hätte sie auch für das Harry Styles Publikum halten können, der an diesem Abend in Düsseldorf auftrat – wartete in ihrem Halbwissen, was auf sie zukommen würde angespannt auf die Performer*innen. Zur Eröffnung wurde das Publikum einsteiger*innenfreundlich mit High School Musical  aufgefangen – spätestens danach standen alle Uhren auf Summertime – passend zum Motto des Abends. Wobei sich die hotness, die dem Motto innewohnt, nicht nur auf die sommerliche Außentemperatur bezog.

Das Publikum wurde von den Moderatoren und Dragkings Willie Eyelash und Roger Moon durch das Programm geführt, das aus Solo- und Gemeinschaftsauftritten von drei Dragqueens, einem weiteren Dragking und einem Crossover Künstler bestand. Diversität sei den Veranstalter*innen hier besonders wichtig gewesen und durch die Einladung eines Gastes aus einer anderen Kultursparte sollte gezeigt werden, dass Drag nicht für sich alleine steht und wie weich die Kunstformen miteinander verschmelzen können. Als die Musik einsetzte und Requisiten in Form von Fächern, Schwimmringen und Leuchtstäben durch die Lüfte flogen, riss sich das Publikum von den unterstützenden Händen zu Beginn los und fühlte die Perfomances durch emotionale Ausrufe, Klatschen und rhytmische Bewegungen mit.

Kocorona-Projekt

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Kokolores ist ein sehr junges Projekt. Entstanden ist das Projekt paradoxerweise in einer Zeit, in der die Kulturszene still stand und die Theatersäle leergefegt waren. Doch der kreative Geist der Künstler*innen verlagerte sich in den virtuellen Raum. Willie Eyelash erzählt im bonnFM Interview nach, wie er sich im Lockdown bei der Online-Theaternacht der Brotfabrik traute, sich im Drag auszuprobieren. Eine Kunstform, die ihn schon länger faszinierte. Als er gemeinsam mit Roger Moon an die Brotfabrik herantrat, wurde ihnen mit voller Unterstützung begegnet, sodass Kokolores im März 2023 das erste Mal auf der Bühne stattfinden konnte. „Manchmal kann es auch ganz einfach sein“.

Sorgte er sich zunächst um das Gelingen und die Finanzierung der Veranstaltung, so wurde nach dem raschen Ausverkauf der Tickets klar, dass dieses Format einen vollen Erfolg darstellt. Die Gewissheit und Standing Ovations berührten sie „wir hatten das Gefühl, wir schwimmen in Liebe“. Dieses Momentum zu schaffen, ist für sie offenbar von größter Bedeutung, denn aus finanzieller Sicht ist die Veranstaltung ein Nullsummenspiel, erklärt Willie Eyelash im Gespräch.

Wer hat schon etwas gegen ein bisschen mehr Glitzer im Leben?

Diese Frage sollte hier eigentlich als rhetorische Kunstfrage stehen. Doch durch den Aufwind und die Repräsentation, die die queere Community gerade erhält,  kommt auch der Gegenwind, erklärte Willie Eyelash im Interview. Auch auf der Bühne drückt er seinen Unmut über diese Strömungen aus, die queere Menschen einschüchtern, diskriminieren, dehumanisieren oder bedrohen. Erst einen Tag zuvor ereignete es sich, dass am Busbahnhof Bonn der Regenbogen-Zebrastreifen mit schwarz-rot-gelben Streifen überklebt, ja verschandelt wurde. In diesem Gefüge können sich queere Menschen nicht sicher fühlen, das betont Loona Tension, eine der Dragqueens des Abends, im bonnFM Interview. „Ich wünsche mir als Drag auf der Straße rumlaufen zu können und mich sicher zu fühlen“. Sowohl die Protestaktion der Rhein-Revolte am Busbahnhof Bonn, sowie auch ihre eigenen Erfahrungen, machen für sie deutlich, warum der Pride Month und der Christopher Street Day (CSD) noch immer so bedeutsam sind.

Kokolores wurde in Bonn sowohl in der ersten als auch zweiten Auflage vom Publikum gefeiert und von der Stadtbevölkerung unterstützt. Die Besucher*innen des Abends fühlen sich wohl in dem queer Space, wünschen sich noch mehr Räume der Kunst nach diesem Vorbild. Willie Eyelash fühlt sich privilegiert, dass die Dragstage Bonn mit so viel Liebe willkommen geheißen wurde. Er erhofft sich aber, dass die Menschen, die zu Gast bei Kokolores waren, nicht nur zwei Stunden Spaß mitnehmen, sondern dass sie „auch in anderen Bereichen für uns kämpfen“, also queere Menschen schützen und auch in unangenehmen Gesprächen und Situationen für sie als Allies einstehen. Denn so drückt Willie Eyelash es an diesem Abend auf der Bühne aus: „wir sind vor allem hinter zwei Sachen her, den Menschenrechten, die uns zustehen und einem Funken queerer Freude“.

Glitzer in der deutschen Kulturszene

„Drag ist größer als das echte Leben“ gibt Willie Eyelash im Interview zu verstehen. Kokolores ist eine Herzensangelegenheit. „Ich kann im Drag sehr viel ausleben, was ich sonst nicht ausleben kann. Drag gibt mir confidence“. Mit der Erschaffung der Dragstage in Bonn möchte Willie Eyelash gemeinsam mit seinem Team einen Raum schaffen, in der queere Kunst und ihre Schöpfer*innen repräsentiert werden, denn das sei in der deutschen Kulturszene bisher noch nicht gegeben. Zwar könnten Fortschritte verzeichnet werden, doch „wir machen zwei Schritte vor und einen zurück“. Dabei sei Diversität und das Aufgreifen queerer Themen so bedeutsam, nicht zuletzt auch für das Publikum, um sich repräsentiert zu sehen und seine eigene Identität zu hinterfragen und diese passender formen zu können.

Den Künstler*innen dieses Abends ist gemein, dass sie sich mehr Bühnen wünschen würden, auf denen sie ihre Darbietungen zeigen können. So erklären Dragqueen Loona Tension und Dragking Larry Long im bonnFM Interview, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht mit ihrer Kunst verdienen können und es für sie eher ein bezahltes Hobby bedeutet. Ein Hobby mit teuren Requisiten und vielen Stunden Vorbereitung. Hier einen Wandel zu erreichen, wäre mehr als wünschenswert. Denn die Bühne gibt den Künstler*innen Freiheit. „Das bin ich, mit allem was ich bin“ sagt Willie Eyelash und so erlebten auch die Gäst*innen dieses Abends neben Spaß, Glitzer und Glamour vor allem eins: Freiheit.