„Caramel“ erzählt von den Sehnsüchten fünf libanesischer Frauen und von einer Stadt, die so in den Nachrichten kaum gezeigt wird. Ein verborgener Schatz in der Filmlandschaft.
Ein kleiner Schönheitssalon in Beirut mit dem Namen „Si Belle“. Das „B“ im Ladenschild droht bereits abzufallen. Auch der Strom fällt immer wieder aus. Auf einem Gaskocher schmelzen Frauen Zucker. Sie kneten Fäden aus goldenem flüssigem Karamell. Dann ein schriller Schrei. Layale (gespielt von der Regisseurin Nadine Labaki), die Inhaberin des Salons, zieht einer Kundin mit der Karamellpaste die Barthärchen ab.
Die Sehnsüchte der Frauen
Fünf Frauen entfliehen im Salon für einen kurzen Moment den sozialen und religiösen Konflikten, die den Libanon und das Leben der Protagonistinnen prägen. Hier, zwischen Flüssen aus Karamell, stehen die Sehnsüchte der Frauen im Mittelpunkt.
Layale beispielsweise ist hoffnungslos in einen verheirateten Mann verliebt. Nisrine (Yasmine Al Massri) muss ihrem Verlobten irgendwie verheimlichen, dass sie gar keine Jungfrau mehr ist. Rima (Joanna Moukarzel) hingegen will von Männern nichts wissen und fühlt sich stattdessen zu der Kundin mit dem langen dunklen Haar hingezogen. Jamale (Gisèle Aouad) akzeptiert nicht, dass sie älter wird, und gibt die Hoffnung auf einen Durchbruch als Schauspielerin nicht auf. Und da wäre noch Rose (Sihame Haddad), eine ältere Schneiderin, die sich hingebungsvoll um ihre verwirrte Schwester kümmert, wobei ihr eigenes Glück auf der Strecke bleibt.
Ein Land, das Viele kaum kennen
Karamell kann herb oder süßlich schmecken. Karamell erfordert Hingabe. „Caramel“ gibt sich den Wünschen und Sorgen der Frauen hin. „Caramel“ erzählt von einem Land voller Gegensätze, von einem Land, das Viele kaum kennen.
Zuletzt war der Libanon durch die Explosionen in Beirut in den Medien. Schreckliche Bilder der Zerstörung erreichten uns. Doch schon vorher war das Land geprägt von wirtschaftlichem und politischem Chaos, nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Dass der Strom wie im Film immer wieder ausfällt, gehört tatsächlich zum Alltag der Menschen dazu. Immer wieder gibt es Proteste gegen korrupte Regierungen und auch religiös ist das Land gespalten.
Ein anderer Blick
Mit „Caramel“ erzählt Nadine Labaki von Menschen, deren Schicksale untrennbar mit den politischen Konflikten verbunden sind. Und doch ist ihre Geschichte voller Hoffnung. „Caramel“ zeichnet sich durch die unerschütterliche Ruhe und Leichtigkeit aus, mit der sich Labaki ihren Figuren nähert. Trotz all der gesellschaftlichen Konventionen, denen sich die Frauen unterwerfen müssen, können sie in Layales Salon aufatmen und lachen. Nadine Labaki zeigt ein Beirut, das in den Nachrichten kaum gezeigt wird. Sie zeigt Frauen in all ihrer Vielfalt und voller Lebenslust. Die politischen Konflikte treten in den Hintergrund, werden im Film kaum erwähnt. Dennoch ist „Caramel“ nicht unpolitisch. Vielmehr zeigt Labaki, wie ihre fünf Protagonistinnen allen Widrigkeiten zum Trotz zusammenhalten und über die Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden, hinwegtanzen.
Wer sich die Zeit nimmt, sich auf das Werk Labakis einzulassen, der wird verzaubert werden. „Caramel“ ist voller Liebe und Schmerz, schmeckt süßlich und herb zugleich.
„Caramel“ (OT: „Sukkar Banat“)
Frankreich/Libanon 2007
Regie: Nadine Labaki
Länge: 95 min
„Caramel“ ist noch bis zum 31. Mai 2021 in der arte-Mediathek zu finden.