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Kerosin95 im Namenlos Bild: bonnFM

Kerosin95 bringt die “Trans Agenda Dynastie” nach Bonn

Lesezeit: 5 Minuten

“Trans Agenda Dynastie” steht auf dem Programm, wenn Kerosin95 auf Tour geht. Was damit gemeint ist, warum niemand cis ist und ob es Safe Spaces auf Konzerten geben kann, das haben wir vor dem Konzert mit Kerosin95 geklärt.

“Niemand ist cis/ Und niemand hört euch zu ja/ Ich bin trans und hab gewonnen/ Ihr seid Loser”, rappt Kerosin95 in Trans Agenda Dynastie, dem Song zur gleichnamigen EP, die dieses Jahr erschien. Kerosin95, das ist Hau-drauf-Rap mit Glitzer; Party und Verletzlichkeit; Subversion, die versucht, keine mehr sein zu müssen. 

Beef, nur weil ich existiere

Kerosin95 trägt einen dunklen, unscheinbaren Trainingsanzug und helle Cappy als wir uns backstage treffen. “Die Tour läuft gut. […] Das ist voll schade gewesen, dass wir leider in Dresden absagen mussten wegen Krankenstand.” Kem, die Person hinter Kerosin95 ist immer noch etwas verschnupft, beantwortet meine Fragen aber lässig und aufmerksam. Mit der Presse hat Kerosin95 nicht nur gute Erfahrungen gemacht.

Ich frage Kem: “Mit wem hast du eigentlich Beef? In Trans Agenda Dynastie heißt es: Der Asphalt brennt die Wolken stehen tief, Was gibts heut zum Mittagessen? Ich glaube Beef”. “Ja, ich habe leider ja auch ungewollt beef, also ich existiere ja eigentlich nur und versucht zu chillen und das stört ganz viele Leute oder ganz viele Leute sind halt einfach sexistische, queerfeindliche, transfeindliche Arschlöcher und die kommen halt nicht klar mit Existenzen grundsätzlich[…]. Es ist wirklich lächerlich, aber es ist leider real und es ist gar nicht so lustig.”

Ich existiere in deiner Sprache nicht
Wenn du mich wirklich so hasst, sag’s mir direkt ins Gesicht
Oder hast du bloß Angst, dass in dir etwas zerbricht?
Du verlierst deinen Platz
Oh krass du packst es nicht

Songtext aus “Meine Welt” von Kerosin95

Beef nur auf Grundlag der eigenen Existenz. Für Kerosin95 aber auch ein Ausgangspunkt für die (Protest-)Musik. “Ich versuche mich halt dann zumindest in dem Projekt zu bestärken und mir das zurückzuholen, im Real Life bin ich ja nicht so confident, sondern verunsichert und das ist ja beängstigend, irgendwie Gewalt ausgesetzt zu sein. Aber in Trans Agenda Dynastie kann ich halt einmal zurück in die Fresse schlagen und das zumindest verbal.”

Als Kerosin95 später auf die Bühne springt, tobt die Menge. Auf einmal ist der Raum erfüllt von einer mitreißenden Energie der selbstbewussten Performance, die sich sofort überträgt.

Kerosin brennt, streichelt und schreit

Zwischen den Songs, nach der Extase, singt Kerosin95 auch ruhigere Lieder, bedankt sich für die gute Stimmung, stimmt ernstere Töne an. Kem erzählt von Transfeindlichkeit, der Enttäuschung über nur vermeintlich linke österreichische Politik, auch von Überlegungen mit dem Musikprojekt aufzuhören.
Die ruhigen Songs performt Kerosin mit weniger Dynamik, aber gleicher Hingabe, Kem schaut andächtig nach oben, stellt sich ganz nah vor das Publikum und verschließt zurückhaltend die Beine. Wer diesem Rap Einseitigkeit oder Reproduktion toxischer Stärke vorwirft, hat nicht angefangen hinzuschauen. Der Song Außen Hart Innen Flauschig” läuft:

Kerosin brennt, streichelt und schreit
Kerosin lacht, verstummt und weint
Kerosin nimmt dich in den Arm und
Kerosin nimmt dich auf den Arm

aus dem Song “Au0en Hart Innen Flauschig”

Ich frage Kem, wie die verschiedenen Aspekte der Musik zusammenpassen. Es scheint für Kerosin95 komplett offensichtlich zu sein, weil die Emotionen, ausgangspunkt für die Musik, nicht nur in eine Richtung zeigen: “Ich könnte mich auch dazu entscheiden, nur zu ballern inhaltlich, und nur eine Art von Programm zu fahren. Aber das ist ja auch anstrengend.” 

Aufbruch zur Trans Agenda Dynastie

Trans Agenda Dynastie ist also der Versuch, unterschiedlichste Gefühle zu veräußern. Und auf der anderen Seite natürlich eine ironische Antwort auf den Hass und den Vorwurf, queere Menschen würden eine Ideologie – oder noch absurder – eine Agenda verfolgen.  “Dann nehme ich mir einfach dieses Wort und nehme es für mich selber und mache so die Trans Agenda sowie die Gay Agenda zum Beispiel draus- Und Dynastie ist dann noch das Übertriebene obendrauf.”, sagt Kem. 

Vor dem Konzert treffe ich zwei Fans, die zusammen aus Essen nach Bonn gereist sind, beide haben kurze, dunkle Haare, wache Augen, androgynen Style. Eine Person trägt eine Kombination aus Weiblichkeits- und Männlichkeitszeichen: “Heute sind wir zwei Stunden gefahren, aber wir sind auch schon vier Stunden gefahren.” Es ist ihr drittes Kerosin95 Konzert dieses Jahr, die Musik würde sie flashen, Trans Agenda Dynastie besonders. Sie diskutieren darüber, wie viel Raum sie gleich einnehmen wollen, lieber hinten bleiben? Dieses Mal nicht so viel zwischenrufen?

Nach 25 Minuten Vorbandmusik überklebt jemand die binären Toilettensymbole und macht daraus All-gender-Toiletten. Zustimmende Blicke. Falls das schon Politik ist, hier findet sie statt.

Sind Kerosin-Konzerte ein Safe Space?

Kem widerspricht. “Also ich finde das Wort Safe Space voll problematisch. Ich verwende das auch nicht. Ich finde, es gibt leider nicht besonders viele Safe Spaces. Wenn, dann gibt es Safer Spaces oder Ideen und Umsetzungen, die an was herankommen, was für so viele Leute wie möglich irgendwie nice ist oder gemütlicher ist. Aber ich finde das ein gefährliches Konzept. Ich finde es wird sehr unvorsichtig verwendet.[…] Kerosin Konzerte sind keine Safe Spaces. Also ich kann nur gemeinsam dazu aufrufen, dass wir uns um alle gegenseitig kümmern, wenn wir auf Shows sind, dass wir nicht wegschauen, wenn Scheiße passiert.”

Und das tut Kem auch. Während des Konzerts fragt Kerosin95 immer wieder, ob es allen gut geht, ob jemand eine Pause braucht und bietet sogar Wasserflaschen an, für diejenigen, die es in der Menge nicht mehr zur Bar im Namenlos schaffen.

Niemand ist cis?

In Kerosin95 Song Trans Agenda Dynastie heißt es an einer Stelle “niemand ist cis”. Ist das ein ironischer Gag, so wie der Verweis auf die Trans Agenda Dynastie? Kerosin95 widerspricht: “Nee, das ist kein Gag. Ich glaube[…], dass Gender, dass Geschlecht und Identität etwas sehr Konstruiertes sein kann. Und ich glaube dran, dass, wenn sich Menschen irgendwann damit befassen, so ausreichend und so lang drüber nachdenken, dass dann dieses ganze Konstrukt, also binäre Konstrukt von Mann-Frau Konstrukt, also cis Mann, cis Frau-, das dieses Ding von was – unter Anführungszeichen bei der Geburt zugeschrieben wird- dass das irgendwann und meiner Meinung nach sehr schnell eher zerbricht. [..] Außer wir reden über maskulinen und femininen Ausdruck und irgendwie, wie wir uns geben, wie wir uns fühlen, wie wir uns anziehen, wie wir uns präsentieren, aber nicht, wer wir sind.”

Ein offensichtliches Mittel für das Aufbrechen dieser Binarität könnte in Kerosin95 Auftreten, dem Kleidungsstil gesehen werden, der ganz verschiedene typisch männliche oder weibliche Codes zitiert und neuinterpretiert. Für Kem ist das weder berechnend noch revolutionär. Die Binarität wird hier nicht zerstört: “Das ist immer so riesig, irgendetwas zu zerstören, aufbrechen, krass, voll arg! […].Also ich denke, ich brech´ es nicht auf, weil das ist viel zu groß gedacht, so wie wenn ich das Patriarchat aufbrechen möchte, zu riesig, sondern ich will einfach nur spielen und ich will spielerisch schauen, was mir gefällt und in welche Rollen ich schlüpft oder wie ich mich selbst irgendwie nice und hot und stylish find und ich find fashion geil! Also groß metaphorischer wird’s nicht mehr. Es geht nur ums game- ums fashion game!”

Das Patriarchat steht also noch nach diesem Abend im Namenlos. Aber es wurde gespielt, gemeinsam und gegen die Regeln.

Fotos: Caroline Jüngermann