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Bild: Jörn Neumann

Sex, Kölsch & Kabarett

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In seinem Programm „Volksbegehren“ räumt Jürgen Becker – Moderator der Mitternachtsspitzen – mit Tabus und Scham auf. Im Interview erfahren wir mehr über das Kölner Urgestein.

Ein wenig strubbelig und mit Dreitagebart kommt Jürgen Becker in den Aufenthaltsraum hinter der Bühne. Seine Hand entgegenstreckend grüßt er uns. Ich muss mich zurückhalten, nicht sofort ein Bier zu nehmen und ihm auch eins anzubieten, so locker und freundlich ist die Stimmung zwischen uns Reportern und ihm. Er selbst sei gerne hier und liebe es, in Köln zwei so verschiedene Nachbarstädte wie Düsseldorf und Bonn zu haben. Wenn Becker den Raum betritt, scheint Köln gleich mit einzutreten. Salopp geht er mit Themen wie Religion, Sexualität und Politik um, ohne dabei beleidigend zu werden.

„Wenn der Karneval ausfällt, gerät der Psychohaushalt der Stadt schwer durcheinander.“

Jürgen Becker ist kein Krawattenträger, kein Richter über Politiker oder die Gesellschaft, wie man es von Kabarettisten erwartet. Vielmehr scheint er sich dem Klischee des von-oben-Heraburteilenden rebellisch zu widersetzen. So hat er nicht nur die Stunksitzung, die heutzutage eine Institution im Kölner Karneval ist, erfunden, sondern stellt Sachverhalte hin und wieder undifferenziert dar. Nicht, dass er nicht in der Lage wäre etwas korrekt und diplomatisch darzustellen, aber es scheint der Rheinländer zu sein, der aus ihm spricht, wenn er die rechten Bewegungen oder den Brexit ganz einfach als idiotisch abstempelt.    

Moderator aus Faulheit

Die Bühne bespielt der Kölner seit über 25 Jahren. Angefangen hat das mit seiner Mitgründung und Arbeit beim Kölner Spielcircus. Er beichtet, dass er zu faul gewesen sei, Akrobatik zu lernen. Das Ansagen und moderieren gefiel ihm besser. Heute blickt er dankbar auf die Zeit zurück, die vermutlich den Grundstein für seine Karriere gelegt hat. Humor ist für Becker eine Grundlage, um neue Wege zu finden. Distanz würde entstehen, wenn man die Dinge nicht so ernst nehme und das führe oft zu neuen Lösungen. Dass Becker selbst nach diesem Grundsatz lebt, sieht man an der Entstehung seines aktuellen Programms. 

Glück im Unglück

Das ist nämlich durch einen Motorradunfall entstanden. Becker hatte sich dabei verletzt und musste einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Eigentlich ein einschneidendes Ereignis. Der Kabarettist aber nutzte die Zeit und stolperte über eine Dokumentation über die Geschichte der Fortpflanzung. Selbst von der Muse geküsst fing er dann an, sein neues Programm über eben dieses Thema zu verfassen. Auch sein nächstes Programm nimmt bereits Form an und wird – ganz in alter Kabarrettmanier – Finanzpolitik und Klimakrise in den Blick nehmen.

Kölsch und alt

Nach dem Gespräch können wir uns Beckers Show noch live anschauen. Und auch wenn das Publikum älter ist, haben wir in unserem Gespräch mit ihm gemerkt, dass Becker sich für die Jugend, für die Fridays for Future-Bewegung und die Zukunft sorgt, auch wenn er in seinem nächsten Programm darüber witzeln wird. Vielleicht ist es auch eine gesunde Art, das Ganze mit einer Mischung aus Humor und Ernst anzugehen, Themen aus der Distanz zu betrachten und darüber zu lachen. Und mein Gefühl vom Anfang hat mich nicht getäuscht: Jürgen Becker ist jemand, mit dem man gerne ein Bier trinken möchte. So sehr, dass er nach dem Auftritt selbst jedem einzelnen Gast eins spendiert.